Paloma - Ein Liebesroman (German Edition)
wenigstens hatten sie heute nicht diesen scharfen Nordwind wie in den Tagen davor, sondern leichten Llevant, Ostwind also, der Piniengeruch von den Bäumen der Cala Sahona mit sich brachte. Auf den hohen Blütenstängeln des Fenchels am Wegrand glitzerten noch Tautropfen.
Der steinige Weg wand sich leicht ansteigend einem Hügel zu. Paloma ging langsam, um mit ihrer kostbaren Fracht nicht zu stolpern. Oben auf dem Hügel angekommen, stellte sie ihren Korb kurz ab und blickte hinunter nach San Lorenzo, dessen Häuser von dem wuchtigen Turm der alten Wehrkirche überragt wurden. Ihr Blick wanderte weiter zu dem kahlen, steinernen Buckel, westlich von San Lorenzo, auf dessen breitem Plateau eine Windmühle stand. Und noch weiter westlich war in dunklem Schiefergrau das Wasser des Mittelmeeres zu erkennen.
Paloma knotete ihr verrutschtes Schultertuch neu und nahm dann den Korb mit Eiern wieder auf und ging weiter.
Schon von weitem war Hämmern und Klopfen von der Baustelle am Eingang des Dorfes zu hören. Angeblich wollte Juan Redondo sich ein Haus bauen, das drei Stockwerke hoch werden sollte. Noch war allerdings nicht viel zu sehen. Zwei Männer gossen gerade die Sockel der Eckpfeiler mit Zement aus, den ein dritter anrührte.
Einige Schritte weiter saß der alte Jorge vor seinem Haus, beide Hände auf seinen Stock gestützt und starrte reglos vor sich hin. Noch nie hatte Paloma gesehen, dass er den Kopf hob oder auch nur die kleinste Bewegung machte, was ihr immer ein wenig unheimlich vorkam. Einmal hatte sie die Mutter gefragt, ob er nicht vielleicht schon tot sei und man nur vergessen hätte, ihn zu begraben. Die Mutter hatte sie barsch zu Recht gewiesen, weshalb hatte Paloma nicht so richtig verstanden.
So rasch sie konnte, ging sie an dem Alten vorbei und dann war sie auch schon auf der Plaza Consistorial mit dem Rathaus und der Bar El Centro und nur noch ein kleines Stück weiter und sie war am Ziel, der Tienda der alten Pilar. Bereits an der Tür schlug ihr dieser aufregende Geruch entgegen, den es nur bei der alten Pilar gab. Es roch nach Petroleum, nach in Salz eingelegten Sardinen, nach Zwiebeln, Orangen, Seife, Kerzen, Oliven, Käse und Wein, und all das zusammen roch so stark, dass einem fast die Luft wegblieb. Und das war noch längst nicht alles an Wunderbarem. Da gab es noch Licht, das von der langen Neonröhre oben an der Decke kam. Und einen Glasbehälter mit kleinen Kugeln, die in farbiges Papier gewickelt waren. Einmal hatte ihr die Mutter drei von diesen Kügelchen mitgebracht und deshalb wusste Paloma, wie herrlich süß und klebrig sie schmeckten.
Immer wieder zog der Glasbehälter ihren Blick an, während sie dastand und wartete, bis die alte Pilar in ihrem langen Rock und der schwarzweiß gestreiften Schürze, ein Ei nach dem anderen geprüft und in eine Kiste gelegt hatte. Und die Anzahl der Eier dann in ihrem Buch mit den schon ziemlich zerfledderten Seiten eintrug, in dem alle Ein- und Verkäufe der Familie Torres verzeichnet wurden.
Nachdem all das endlich erledigt war, hob die alte Pilar den Kopf und blickte Paloma an. „Wie geht’s zuhause? Kommt ihr zurecht ohne die Mutter?“
Paloma nickte, überlegte aber gleichzeitig, ob sie die alte Pilar bitten sollte, ihr einige von den süßen Kugeln zu geben und mit den Eiern zu verrechnen. Aber sie sagte dann doch nichts, da ihr einfiel, dass sie nicht mehr viel Petroleum für die Lampe hatten und dass auch ihr Zuckervorrat zu Ende ging und dass sie jetzt, weil die Mutter nicht mehr da war, für all diese Dinge verantwortlich war.
„Dass es ausgerechnet eine so kräftige Frau wie deine Mutter treffen musste.“ Die alte Pilar schnalzte einige Male mit der Zunge. „Ich weiß noch gut, wie sie als junges Mädchen war, immer freundlich und flink. Und arbeiten konnte sie wie sonst kaum eine. Grobes und feines. Ich hab noch die beiden Kleider, die sie mir mal genäht hat. Ja, das hat sie verstanden. Kleine Stiche, die man kaum sehen kann.“
Mit ihren rauen, gekrümmten Fingern strich sie Paloma über den Kopf. „Arme Kleine.“
Auf dem Weg zur Tür warf Paloma noch einen letzten Blick auf den Glasbehälter mit den bunten Kugeln, aber sie hatten nicht mehr dieselbe Anziehungskraft wie vorhin. Ihrer Verantwortung bewusst, sah sie nur noch Kinderkram darin.
Kaum hatte sie die letzten Häuser hinter sich gelassen, schlug sie ein schnelleres Tempo an. Mittlerweile war der diesige Himmel jedoch klar und die Sonne stach ihr in den Rücken.
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