Sechseckwelt 02 - Exil Sechseck-Welt
In den Gaemesjun-Labors, Makeva
Es war nicht die Tatsache, daß Gilgam Zinders Laborassistentin einen Pferdeschwanz hatte, die am sonderbarsten erschien; das wahrhaft Seltsame war, daß sie ihren Zustand nicht als merkwürdig oder ungewöhnlich zu empfinden schien.
Zinder war hochgewachsen und dünn, ein hagerer Mann mit grauen Haaren und einem langen, grauen Spitzbart, der ihn noch älter erscheinen ließ, als er in Wirklichkeit war, und eingefallener dazu. Seine blaugrauen Augen, gerötet und umgeben von dunkelnden Schatten, verrieten seine Überarbeitung. Er hatte seit zwei Tagen nicht daran gedacht, etwas zu essen, und Schlaf war eine theoretische Sache geworden.
Es war auch ein sehr eigenartiges Labor, angelegt etwa wie ein Amphitheater, mit einem kreisförmigen, erhöhten Podium, ungefähr vierzig Zentimeter über dem Boden, das als Bühne diente. Über der Bühne hing ein Gerät, das einer großen Kanone glich, aber in einem kleinen Spiegel endete, aus dem eine winzige Spitze ragte.
Eine Galerie führte um die Apparatur herum; hier, entlang der Wände, gab es Tausende von blinkenden Lampen, Skalen und Schaltern und vier Steuerkonsolen, gleichmäßig um den Kreis darunter verteilt. An einer davon saß Zinder; ihm unmittelbar gegenüber saß ein viel jüngerer Mann in glänzender Schutzkleidung an einer zweiten. Zinders Labor-Overall sah aus, als sei er im letzten Jahrhundert angefertigt worden.
Die Frau, die auf der erhöhten Scheibe stand, war von unauffälligem Aussehen, Ende dreißig und ein wenig dicklich und schlaff, von der Sorte, die ordentlich angezogen viel besser aussieht als nackt, was sie jetzt war.
Nur hatte sie einen Pferdeschwanz, lang und buschig.
Sie blickte verwirrt und etwas ungeduldig zu den beiden Männern hinauf.
»Also, was ist?« rief sie hinauf. »Wollen Sie denn nichts tun ? Es ist kalt hier unten.«
Ben Yulin, der jüngere Mann, lächelte und beugte sich über das Geländer.
»Peitschen Sie eine Weile mit Ihrem Schwanz, Zetta. Wir arbeiten, so schnell wir können!« rief er freundlich hinunter.
Und sie bewegte den Schwanz wirklich hin und her, langsam, gewohnheitsmäßig, um ihrer Verärgerung Ausdruck zu geben.
»Es fällt Ihnen wirklich kein Unterschied auf, Zetta?« fragte Zinders dünne, scharfe Stimme.
Sie blickte verwirrt, sah dann an sich hinunter und fuhr mit den Händen über ihren Körper, den Schwanz eingeschlossen, wie um herauszufinden, was sie meinten.
»Nein, Dr. Zinder. Wieso? Ist etwas an mir – verändert?« erwiderte sie zögernd.
»Wissen Sie, daß Sie einen Schwanz haben?« drängte Zinder. Sie wirkte verständnislos.
»Selbstverständlich habe ich einen Schwanz«, erwiderte sie, als wolle sie sagen: Was ist denn daran merkwürdig?
»Sie finden das nicht, äh, seltsam oder ungewöhnlich?« warf Ben Yulin ein.
Sie zeigte sich aufrichtig verwirrt.
»Aber nein, natürlich nicht. Weshalb denn?«
Zinder schaute zu seinem jungen Assistenten hinüber, der auf der anderen Seite der offenen Bühne fast fünfzehn Meter entfernt war.
»Eine interessante Entwicklung«, meinte er.
Yulin nickte.
»Bohnentöpfe hervorzubringen, dann die Arbeit mit den Versuchstieren, das bewies, was wir erreichen konnten, aber ich glaube nicht, daß ich mit so etwas gerechnet habe.«
»Ist Ihnen die Theorie noch geläufig?« fragte Zinder.
»Gewiß. Wir verändern innerhalb des Feldes die Wahrscheinlichkeit. Was wir mit jemandem oder etwas im Feld machen, ist für sie normal, weil wir ihre Grund-Stabilisierungsgleichung verändert haben. Wenn wir das im großen Maßstab tun könnten…«
»Allerdings«, sagte Zinder nachdenklich. »Eine ganze Bevölkerung könnte verwandelt werden, ohne jemals etwas davon zu ahnen.« Er drehte sich um und blickte wieder zu der Frau mit dem Pferdeschwanz hinunter. »Zetta?« rief er. »Wissen Sie, daß wir keine Schwänze haben? Daß auch niemand sonst, den wir kennen, einen Schwanz hat?«
Sie nickte.
»Ja, ich weiß, daß es für Sie ungewöhnlich ist. Aber was soll's? Ich habe nicht gerade versucht, ihn zu verstecken.«
»Hatten Ihre Eltern Schwänze, Zetta?« fragte Yulin.
»Natürlich nicht!« gab sie zurück. »Was soll denn das alles?«
Yulin sah den älteren Wissenschaftler an und sagte: »Wollen Sie noch weitergehen?«
»Warum nicht?« meinte Zinder achselzuckend. »Ja, ich würde gern mit einer Psychosonde feststellen, wie tief das reicht, aber wenn wir es einmal gemacht haben, können wir es jederzeit. Prüfen wir eines
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