Panizza
eingeengt, und eine Verbindung mit der prak-
tisch arbeitenden Sozialdemokratie, die die Literaten wieder
geistig hätte befruchten können, war kaum vorhanden. So
blieb alles ästhetische Geste, was doch befeuernde politische
Kraft hätte sein müssen, um wirken zu können, und verebbte
schließlich in Bürgerbohème. Ähnlich wie in Friedrichshagen.
Aber wie in Friedrichshagen Gerhart Hauptmann Kreis Kreis
sein ließ und selber einer wurde, so ragte über die Münchner
der unglückliche Oskar Panizza weit hervor.
Er hat noch hassen können, wie heute nur Heinrich Mann
haßt. Er hat sein Land geliebt und die verabscheut, die es zu
einem Kasernenhof und zu einer Tretmühle gemacht haben,
derweil sie selbst nicht mitzutun brauchten: denn für sie gal-
ten keine Gesetze. Vorschriften gelten nie für die, die sie ge-
macht haben.
Aus einem Versbüchlein Panizzas, ‚Parisiana‘ geheißen, pflücke ich einige bunte Blüten, die heut noch nicht verwelkt
sind, und die der lieben Mama Germania ins schwarz-weiß-
rote Glas zu stellen mir eine besondere Freude ist.
Es sind erstaunlich prophetische Verse in dem Buch. So
dieser:
Denn Blut wird fließen, Blut soll fließen —
mit Worten werdet Ihr nicht quitt —
soll neu Gedankensaat euch sprießen,
wills Einen, der am Kreuze litt,
und wollt Ihr neue Bünde schließen,
bedarfs des Bluts dazu als Kitt.
Aber der Prophet kehrte sein Gesicht nicht nur in die Zukunft,
sondern sah auch in die Gegenwart, und sein Blick von Paris
nach Berlin herüber war schärfer als der mancher Braven im
Lande. Prallen Romanen und von ihnen beeinflußte Geister
mit den schlechten Seiten des Deutschtums zusammen, so
gibt es immer denselben Klang; und wenn er den Deutschen
nicht lieblich in den Ohren klingt, wessen Schuld mag das sein? Heinrich Mann haben wir hier neulich betrachtet; in einem sonst mäßigen Tendenzwerk von Maurice Barres: ‚ln
deutschen Heeresdiensten‘ steht: „Ein deutscher Soldat sieht immer wie ein geprügelter Hund aus“, und: „In dem dritten
Saale bemerkten wir den großen Tisch, wo sich allabendlich
die Offiziere einfanden. Meine Kameraden waren überzeugt,
daß ein Lokal, welches Hauptleute und Leutnants besuchten,
dadurch ein vornehmer Ort wurde; wenn sie ihre Vorgesetz-
ten auch nur aus der Ferne betrachteten, schien ihre Kleinheit
einen Anteil an dieser Größe zu haben.“ So Panizza in Versen.
Sein Haß schäumt wie jeder gute Haß weit über die Ufer;
es ist die maßlose Verbitterung eines Mannes, der in der Welt
gesehen hat, daß eine solche Unterdrückung wie die der Deut-
schen nirgends sonst möglich wäre, und das nicht etwa, weil
die Unterdrücker fehlten, sondern weil es keinen gibt, der sie
sich gefallen ließe. Es heißt einmal: „Ein Volk, das im Lakaien-
tume sich wohl fühlt als geborner Knecht.“ Das hat ihn so maßlos gewurmt und bohrend und quälend an ihm gefressen,
daß das Volk seiner Fürsten wert war, und er sah mit haßge-
schärftem Blick die groteske Außenseite und das Herz. Die
Außenseite:
Der Männerchor — o wie phantastisch
der schwarzgefrackte Männerbauch,
wie glasig-schön und wie bombastisch
das aufgeschlag’ne Männeraug’,
vielleicht ein bißchen päderastisch
der weiblichen Tenöre Hauch …
So singt denn, wie die Redwitz sangen,
und zeigt, was Ihr vielstimmig wert,
mit Flöten zähmt man wilde Schlangen,
zähmt Ihr mit Singen euer Pferd.
Denn eigentlich, bei Licht betrachtet,
was Deutsche, ist denn eure Lust?
Materie habt Ihr stets verachtet,
Ihr schwärmt nur, wenn in eurer Brust
ein riesiges Empfinden nachtet,
das zu Musik wird unbewußt.
Ließt Ihr euch nicht absichtlich treten
von euern Fürsten Tag und Nacht,
und habt aus euern Schmerzensnöten
dann einen Männerchor gemacht?
Das Herz:
Ihr meint: von Siebzig, Einundsiebzig
war das ’ne heitere Vision —
das Siegen, das vererbt sich, gibt sich,
so weg vom Vater auf den Sohn,
und auch das Einkassieren übt sich
von Gold Milliarde und Million?
Nun, übt euch fleißig nur im Hoffen,
doch sagt es hier nicht allzulaut!
Was mich betrifft, so wünscht’ ich offen,
Ihr würdet ordentlich gehaut,
gleichviel von wem, von welchem Feinde.
Eu’r Untergehn ist unser Sieg —
die große, geistige Gemeinde,
sie kennt nur einen einz’gen Krieg …
Der Haß Panizzas gegen das Haupt des deutschen Unheils war
so groß wie die Liebe zu seinem Volk, und was ihm damals
den Scheiterhaufen eingetragen
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