Panizza
KURT TUCHOLSKY
PANIZZA
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KURT TUCHOLSKY
PANIZZA
(99)
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lit era scripta manet
Kurt Tucholsky
(09.01.1890 - 21.12.1935)
. Ausgabe, Januar 2006
© eBOOK-Bibliothek 2006 für diese Ausgabe
Titelbild: Oskar Panizza
Die Weltbühne
Nummer 38, Donnerstag, den 11. September 1919
„Panizza“ von Ignaz Wrobel (alias Kurt Tucholsky)
Die Zensur ist fort. Es ist nicht zu merken: die Zeitungen er-
scheinen in derselben Tonart wie vor ihrem Fall, das Einer-
seits-Andrerseits, das Erwägen nach beiden Seiten, das zage
Streicheln ist geblieben. Man hätte meinen sollen, daß nach
dem Sturz des Zensors die Luft im Kessel mit einem Knall
durch die Ventile puffen würde — aber es war offenbar keine
drin.
Dem Bürger ist noch nicht wohl in der Freiheit. Er wak-
kelt hin, er wackelt her, als wie ein alter Zottelbär. Und seine
Theater?
Ja, da bringen sie nun ‚Die Büchse der Pandora‘ und eine
bisher verbotene Groteske und den ‚Sohn‘ und ‚Hans im Schna-kenloch‘ — aber wie das so mit dem exorzierten Teufel ist: fein sauber gebügelt, im Frack und im hellen Licht der Lüster ist er
längst nicht so pompös graulig wie damals im Flackerschein
der Kellerlampen. Und eine leise Enttäuschung wird wach:
Das ist alles? Die Zensur hat eine wunderschöne Reklame
gemacht und ein unnützes Aufsehen dazu. Denn das Gehirn
der Zensoren, soweit von einem solchen die Rede sein kann,
ist nicht ganz das unsre.
Weil wir denn aber einmal bei den verbotenen Stücken
sind: wie wäre es, ihr führtet nun doch einmal das ‚Liebeskonzil‘ von Oskar Panizza auf? Dramatis personae sind der liebe Gott, als welchen Pallenberg zu spielen hätte, und sein
Sohn und die Mutter Maria, und dazu der Teufel und seine
Erfindung: die Syphilis. Nun ist dieses heitere Schäferspiel nicht jedermanns Sache, und man soll gewiß die Gefühle, und
zumal die religiösen, seiner Mitbürger schonen. Aber es wäre
eine Anmaßung der Mitbürger, zu verlangen, wir sollten im
selben Tempo fühlen wie sie und im selben Rhythmus leben
wie sie. Ihr Lachen ist nicht unser Lachen, und ihr Schmalz-
pathos ist uns keines.
Aber das ‚Liebeskonzil‘ ? Panizza wurde wegen seines gran-diosen Dramas zu anderthalb Jahren Gefängnis verdonnert,
die er abgesessen hat. Das Stück ist etwas sehr Seltenes: näm-
lich eine wirkliche Gotteslästerung. Er hat Gott gelästert, aber
aus einer tiefen Liebe zu jenem andern Ding heraus, das die
Besten aller Zeiten im Herzen trugen, und das keinen Namen
hat. Die Buchausgabe des Dramas ist heute selten genug, es
gibt nur die alte verbotene Originalausgabe und einen Privat-
druck mit Bildern von Kubin; sonst verkümmert das Stück
wie fast alles andere, was Panizza geschrieben hat, unter dem
Urheberunrecht, das in diesem Falle einer alten bigotten Ver-
wandten gestattet, diese Feuerströme in der Lavendelkom-
mode zu halten. Das Drama behandelt also die Erfindung der
Syphilis durch den Teufel auf Wunsch des lieben Gottes, der
die Menschen ad suam maiorem gloriam ihre Abhängigkeit
fühlen lassen will. Es gibt Stellen in dem Stück, gegen die We-
dekind wie eine brave ‚Gartenlaube‘ wirkt.
Traut sich keiner der Herren Theaterdirektoren? Es müßte
ein Abend sein, bei dem der selige Wedekind Pate stünde, der
Wedekind von anno 890, der alte, schweflige, lachende.
Und damit sich keiner beleidigt fühle: druckt eine kurze
Einführung zu dem Stück und macht eine geschlossene Vor-
stellung! Es ist ja auch nichts für Kinder und Kappsteine.
Denn wir wollen diese ruchlose Satire nicht hinterher ästhe-
tisch beschönigt haben: der Dichter habe es nicht so schlimm
gemeint, in Wirklichkeit sei er Ehrenmitglied der Gesell-
schaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten … Gott
bewahre! Panizza hat’s gewagt. Wer wagt’s noch?
Wir wollen wieder einmal aus dem Theater gehen: im In-
nersten geschüttelt, zwischen Grauen und Komik hin und her
geschleudert und zutiefst von dem Bewußtsein erfüllt, daß es
eine pathetische Affenkomödie ist hienieden.
Was übrigens diesen Oskar Panizza angeht, so hat er dem
Münchner Dichterkreise angehört, dessen damaliger Mittel-
punkt, Michael Georg Conrad, heute ein alter Mann ist, der
nicht mehr ahnen läßt, was da einst unter seiner Obhut gärte.
Der politische Wille dieser Münchner war — wie hätte es in
dem wilhelminischen Deutschland auch anders sein kön-
nen! — viel zu
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