Panizza
hätte, ist heute kaum mehr
wert als ein bejahendes Achselzucken:
Wo bist Du, Deutschland? O, in deinen Tannen
der dunkle und geheime Flüsterwind,
in dem du deine Seele auszuspannen
gewohnt, und der so freundlich und so lind,
er rauscht nicht mehr — die Geister all entrannen
vor einem Nordwind eisig und geschwind …
Du Büffelherde, trotzig-ungelenke,
die durch die Wälder raset mit Gestank,
folgst heute einem einz’gen Stier zur Tränke,
und dieser eine Stier ist geisteskrank.
Und als Mahnung und Aufschrei klingt durch die ungestüm
polternden und holpernden Verse (wie schön hat diese Ottave
rime Liliencron gehandhabt!) die Aufforderung an seine Deut-
schen: Tut etwas! Seid aktiv und tut etwas! Er glaubt nicht recht daran; er sagt, die Marseillaise würde in Deutschland
erst ertönen, die Gendarmen würden erst präsentieren und
Volk und Heer befreit sein:
Wenn einmal auf die Schlösser springen
und in der Spree fließt roter Wein,
dann wird man solche Lieder singen,
dann hört man solche Melodeien!
Und sein Traum ist, die Deutschen würden eines Tages so viel
Verstand bekommen, die Bataillone nicht nur zu Schirm und
Schutz vor die Fürsten aufzupflanzen, sondern zu ganz etwas
anderm:
Herr Moltke brauchte einst die Phrase:
„Das Heer ist gegen Deutsche da,
man säubert damit von der Straße
die Menschen, die dem Schloß zu nah’
gewagt sich“ — beim Champagnerglase
fand seine Rede viel Hurrah!
Doch irrt euch nicht, Ihr lieben Kinder
der Gasse, denn kommt einst die Uhr,
macht gegen Kronen und Cylinder
Ihr Front, und sagt: Choc en retour!
Und weil wir heute nicht mehr und noch nicht wieder — denn
wir kennen unsre Pappenheimer — zensurpflichtig sind, des-
halb sollten diese Klänge hier ertönen, aus denen noch einmal
aufsteigt, was sich dieses Volk Jahrzehnte lang hat bieten las-
sen. Die Revolution vom neunten November war keine: um
eine etwas erregt verlaufene Statutenänderung wird heute et-
was reichlich viel Spektakel gemacht. Eingeschlagene Fenster
und eingeschlagene Köpfe besagen gar nichts für einen Um-
sturz: aber es besagt wohl etwas, den Mut zu haben, das Alte
herunterzureißen, daß es kracht und dann — dann erst! —
etwas Neues aufzubauen.
Manches, was 899 frisch klang, ist heute ein wenig veral-
tet, jung aber wie je sei unser Haß gegen die Pickelhauben und
ihre Schützer, deren Väter und deren Söhne.
Wir gedenken des tapfern Oskar Panizza und grüßen die
gefallenen Helden der deutschen November-Unruhen! Wird
sich der Traum eines glücklich erwachten Deutschland ein-
mal verwirklichen?
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