Parallelgeschichten
Nummer sieben verbracht, im ersten Stock.
Ja, genau da, wo auch Kardinal Pacelli und der Prinz von Wales übernachtet haben.
Wir dachten, das ist ihr Liebhaber, der zur gleichen Zeit in der Nummer vierzehn wohnte, aber der war auch ihr Gatte. Wie ich dir sage, ehrlich. Ein so raffiniertes Frauenzimmer gibt es kein zweites Mal. Kannst es mir glauben. Jetzt trinkt sie natürlich wie ein Schlauch und muss sich am Geländer festhalten. Sie stieg über die interne Treppe hoch, und da wartete ihr zweiter Mann auf sie. Und schau jetzt, was aus ihr geworden ist. Du musst wissen, die ist noch heute die Frau des Generals Pechl und die Witwe des Majors Bertolini. Heute will sie keiner mehr haben. Als es aufflog, hat man das für sie schön vertuscht, obwohl der Bigamiefall auch in den Zeitungen stand.
Dieser Gatte hat den Major an die Front geschickt, er sollte dort fallen, damit endlich Ruhe sei. Recht hatte er.
Jetzt darf sie ihm das Abendessen mitbringen, die Schlampe.
Wenn dieser Gatte sie nicht aus dem Schlamassel holt, kann sie im Gefängnis verrotten.
Tun Sie doch noch etwas Salatsauce dran, Danilein, es sieht sonst so mickrig aus.
Mir kannst du glauben, dass es auf der Welt keine Gerechtigkeit gibt. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr, auch sie muss man in Ruhe lassen. Der Herr Jesus oder die heilige Muttergottes verzeihen auch ihr, wenn sie wollen.
Die sollen mir kein Bauchweh machen. Überhaupt besser, wenn ich gar nichts sage.
Sie bekamen nicht die Reste von den Tellern, sondern das, was sich die Gäste gar nicht auftragen ließen und die Kellner auf den Platten zurücktrugen.
Du kannst dir gar nicht vorstellen, was ich alles weiß.
Wenn der Gast nicht verlangte, dass man es für ihn einwickelte, wurden die Reste für diese Unglücklichen eingepackt, und zwar genauso sorgfältig, als wären sie ebenfalls Gäste. Die Directrice achtete eigens darauf. Verdorbene Speisen durften da nicht mit hinein, höchstens Sachen, die sie am nächsten Tag nicht mehr servieren konnten.
Sie schuldeten das nicht nur der christlichen Nächstenliebe, sondern auch dem guten Ruf des Hauses. Sie würde es auch tun, wenn nur Dank ihr Lohn wäre, aber man müsse auch der Vorsehung vertrauen.
In den kurzen Sturmpausen zwischen den Essenszeiten warfen die Köche die Reste auf Kartonplatten, die mit Fettpapier ausgelegt waren, ordneten sie sogar mit flinken Fingern, damit es appetitlich aussah und deckten sie mit Fettpapier zu. Der einzige Unterschied bestand darin, dass die Küchenmädchen das Ganze nicht in schmuckes, mit dem Hotelemblem versehenes Seidenpapier wickelten, sondern in Zeitungspapier und es so durch die Fenstergitter hinausreichten.
Aber nicht jedem Beliebigen.
Wenn sie nachts kamen, im schrägen Licht mit ihren gebrochenen Schatten hinter den Gitterstäben auftauchten und sich tief hinunterbeugen mussten, wurde ihnen alles der Reihe nach hinausgereicht. Niemand wusste, was er bekam.
Es konnte auch Torte sein.
Sie ließen die Dinge in Einkaufsnetzen, in abgewetzten Ledertaschen verschwinden, und so schonungsvoll und fürsorglich die Directrice auch war, sie gingen damit weg, als trügen sie ein brennendes Schandmal. Was auf den Tellern geblieben war, kam in den Abfall. Das Personal durfte sich nichts in den Mund stopfen, das Degustieren war dem
Chef de cuisine
vorbehalten, und sie durften auch nichts mit nach Hause nehmen. Die Directrice war der Meinung, in diesen Dingen sei Großzügigkeit fehl am Platz, das Personal werde sonst unersättlich.
Heute das und morgen schon alles, dazu werden sie auch noch frech, übermorgen stehlen sie dir die Haare vom Kopf.
Sie machte oft Kontrollen, tastete sie ab.
Die Küchenmädchen und unter ihnen die Anfängerinnen, die Handmädchen hießen, weil sie anderen zur Hand gingen, sammelten alle Flüssigkeitsreste, wie etwa das Nudelwasser, zusammen, davon getrennt die festen Speisereste und noch einmal separat die Knochen. Sie mussten das Geschirr den Abwaschern leer weiterreichen. Aber manchmal rief einer der Köche herüber.
Panni, mein Herzchen, habt ihr da nicht noch ein bisschen Reis oder Kartoffel auf der Platte.
Dann nämlich, wenn auf den für die Bettler bestimmten Kartonplatten noch etwas fehlte.
Ganz wichtig war, die festen Speisereste, die Knochen und die Flüssigkeitsreste ja nicht zu vermischen. Es kam in drei verschiedene Fässer, mit gut verschlossenen Deckeln, damit es nicht stank oder beim Transport herausschwappte. Für Saucen und Tunken galten eigene
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