Parallelgeschichten
die Lieferanten fuhren über die ziemlich steile, stark gerillte Rampe hinunter. Dies war der Zugang für das Personal, hier wurden durch streng getrennte Türen die Waren angeliefert und die vielen Wäschebündel aus dem Hotel gebracht, hier wurde der Müll herausgeschoben. Meine Schuhe klopften auf der Rampe, ebenso die Krallen des Hundes. Unsere Schritte hallten von den Wänden wider. Wenn ich stehen blieb, tat es der Hund auch, er lief jetzt die ganze Zeit bei Fuß, warf den Kopf hoch und beobachtete und lauschte wie ich.
Es war unglaublich still geworden in der Nacht, alles Leben und Tun waren verstummt. In der kühlen Ausdünstung des Flusses roch man jetzt den süßen Duft der Petunien stärker, auch den Benzingeruch zwischen den Rampenwänden.
Es war nicht sehr wahrscheinlich, dass mich jemand bemerken und fragen würde, was ich denn da treibe.
Über dem Personaleingang brannte in einer großen Milchglasglocke zwar die Lampe, aber die verglaste Drehtür hinter dem heruntergelassenen Eisengitter war verriegelt, und dieser Eingang hatte keinen Nachtportier.
Genau um halb fünf, wenn die Küchenmädchen mit großem Lärm eintrafen, würde er aufgemacht.
Sie kamen mit dem ersten Marktfahrerschiff aus Dömös, aus Kisoroszi und Tahitófalu, stiegen unter der Margaretenbrücke in Buda aus, beladen mit Körbchen, Kannen oder verknoteten Tüchern voller Köstlichkeiten und Leckereien. Je nach Jahreszeit frische Sahne, Erdbeeren, Estragon, Himbeeren in Körbchen aus geflochtenen Maisschalen, Quark, kleine Sträuße Thymian, Wald- und Wiesenpilze, und sonst noch alles, was der Wald hergibt, duftende Walderdbeeren in Emaillekannen, Wachteleier in heugefütterten Weidenkörben, Brombeeren, Kornelkirschen, glattgekochte Hagebuttenmarmelade in glasierten Töpfen, in Tücher eingebundene getrocknete Holunderblüten und Kamillen. Das alles gaben sie im Lager ab, die Directrice zählte und wog, trug es in ein großes Heft ein, worauf die Mädchen am Wochenende neben ihrem Lohn die entsprechende Summe ausbezahlt bekamen.
Am Eingang des Warenlagers wurde zur Nacht auch der schwere Eisenrollladen heruntergelassen. Hochgezogen würde er beim Eintreffen des Milchwagens, wenn die in schweren Eisenfächern klirrenden Flaschen wortlos abgestellt wurden. Noch bevor man damit fertig war, kam der Brotlieferant. Die innen gepolsterte Wagentür wurde geöffnet, die warm duftenden Brote und das Gebäck kamen in geflochtenen Körben ins Lager.
Dazu wurde gepfiffen und gesungen, woraus ich geschlossen hatte, dass die frühmorgendliche Brotlieferung eine fröhliche Angelegenheit sei.
Kaum kam mir der süße Geschmack frischer Milch, warmer Hörnchen oder Brioches in den Sinn, wusste ich wieder, wie die Hotelnächte und -morgenfrühen sind, wusste, was morgens, was mittags und abends geschah. Die Küchenmädchen begannen ihr Tagewerk mit Gemüserüsten und Hühnerausnehmen. Um halb eins mussten sie den Pâtissiers die frisch geschlagene Sahne bringen, damit die ihre Desserts und Torten vervollständigen konnten, beziehungsweise sie wickelten die zum Braten bestimmten, gleichmäßig geschnittenen Kartoffelscheiben in Löschpapier und anschließend in Küchentücher, bevor sie gehen durften. Um halb zwei fuhr ihr Schiff von der Anlegestelle beim Bem-Platz ab. In Tahi kamen sie um vier an, in Kisoroszi um vier Uhr vierzig, in Dömös um halb sieben, und das jahraus, jahrein, jeden heiligen Tag pendelten sie so hin und her, bis auf dem Fluss der Eisgang begann und der Schiffsverkehr eingestellt wurde.
Da wurden in den Dörfern die großen Hochzeiten gefeiert, und die jungverheirateten Frauen kamen nicht mehr. Sie wurden durch halbwüchsige Mädchen ersetzt.
Im lärmenden, dunklen Bauch der großen Raddampfer schliefen sie über die Körbe gebeugt und aneinandergelehnt.
Das Personal des Grand Hotels hatte für den Umgang mit den Kindern der Hotelgäste strikte Anweisungen. Gegebenenfalls hatten sie sehr bestimmt zu sein, aber immer freundlich und zuvorkommend, so schwer es ihnen auch fallen mochte. An den Tagen im Frühherbst hielten sich im Hotel außer mir kaum mehr Kinder auf. Ich war ganz brav und fromm, saß zufrieden im leeren roten Salon beim Grammophon, mit meinen Bilderbüchern. Ich wusste, was ich durfte und was nicht, und genoss einen guten Ruf. Ein braver, stiller Junge, der sich selbst beschäftigen kann. Sie hatten keine Ahnung, was ich, ihr Vertrauen missbrauchend, hinter ihrem Rücken trieb. Ich würde bestimmt nicht
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