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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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man nur auf die persönliche Huld der Köche oder Handmädchen hoffen, oder auf die unbarmherzige Gleichgültigkeit der Directrice. Sie würden die von den oberen Stockwerken nicht mehr lange bedienen. Die Gummischürzen-Frauen blickten nicht auf, als sähen sie nichts, hörten sie nichts. Aber sie sprachen so laut, dass ich alles gut hören und verstehen konnte. Dass sie mich untereinander kleine Rotznase, kleinen Bettnässer, kleinen Gartenzwerg nannten, war noch das wenigste, sie sagten auch, ich lungere hier herum. Ich verstand das Wort lange nicht, so wenig wie Bigamie, deren sich die versoffene Alte mit dem komischen Hasenpelz angeblich schuldig gemacht hatte, oder Dreckjude und stinkiges Bürgersöhnchen, wie ich ihnen gemäß eins war, zusammen mit meiner ganzen Bagage.
    Steck doch den kleinen Stinker ins Fass da, was lungert der hier rum, die Müllabfuhr wird ihn dann schon wegschaffen.
    Auch die Heizer waren nicht gerade freundlich, hatten aber doch nichts dagegen, dass ich oben auf der Eisentreppe stand und auf sie hinunterstarrte. Vielleicht gefiel ihnen, dass es auf der Welt einen kleinen Jungen gab, der ihre glänzenden Körper und ihre Arbeit ehrlich bewunderte.
    Auch den zwei Frauen gegenüber tat ich, als bewunderte ich sie, aber die ließen sich auf gar nichts ein.
    Beim Trinkbrunnen wusch ich zuerst die Wunde aus, trank dann lange, konnte kaum genug bekommen. Ich musste auf einem Ziegelstein balancieren, denn das Wasser floss ununterbrochen, auch wenn man den Hahn nicht hinunterdrückte, und der Abfluss war offensichtlich verstopft.
    In der sumpfig gewordenen Umgebung des Brunnens stand das Wasser in Pfützen.
    Behelfsmäßige Ziegelsteine lagen darin, damit man an die Hähne herankam. Ich kippte mit meinen Schuhen von den wackligen Ziegeln mehrmals ins Wasser, und wenn ich tatsächlich nicht mit der Nachtstraßenbahn nach Hause fahren, sondern über die Árpád-Brücke gehen wollte, stand mir mit den nassen Schuhen ein hoffnungslos langer, unangenehmer Weg bevor.
    Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, ein Ende zu machen.
    An meinem angeschlagenen Schienbein war eine harte Beule entstanden, blau und schmerzhaft pulsierend, das enge Hosenbein rieb an der feuchten Wunde, ich hinkte hässlich.
    Am anderen Ufer würde ich dann durch den Dschungel des Vizafogó-Viertels mit seinen geduckten alten kleinen Proletarierhäusern hindurchmüssen, um auf die Váci-Ausfallstraße zu gelangen und an den hohen Ziegelmauern und trostlosen Bretterzäunen der Fabriken bis zum Lehel-Platz zu marschieren, dann im ständigen Rangierlärm auf der Ferdinánd-Brücke die Schienen überqueren, in die endlose, verrußte Szív-Straße, bis ich endlich in die Andrássy-Allee gelangte. Wo ich wählen konnte zwischen der mit Salvia, Vergissmeinnicht, Stiefmütterchen, Violen und Gänseblümchen bepflanzten Promenade, den sacht schwankenden, mich aber doch nicht ganz schützenden nächtlichen Schatten der Platanen und dem Dickicht der Häuser, um mich der Ringstraße gewissermaßen aus der Deckung der Seitenstraßen zu nähern.
    Ich hoffte sehr, dass ich das Tor schon offen vorfinden würde und hineinkäme, ohne dass Balter mich sah.
    Am Ende aber machte ich mich auf den langen Weg wie jemand, der von zwei parallel ablaufenden Überlegungen angetrieben wird. Es war nicht einmal unvorstellbar, dass ich gar nie bis nach Hause hinken würde.
    Von der Árpád-Brücke kann man sich viel besser ins Wasser stürzen als von der Margaretenbrücke.
    Die Bogenweite ist um etliches größer, der Brückenkörper schmucklos, man braucht nicht zu befürchten, dass man gegen das Eisengerüst prallt oder von den Pfeilern aufgehalten wird. Ich wollte unverletzt im Wasser ankommen. Ein Blick in die Tiefe genügte, um die Dichte und Tiefe der Wirbel, die Kraft der Strömung zu ermessen.
    So wäre es schöner, in jedem Fall war diese Brücke vorzuziehen.
    Aber wie auch immer, ich musste zuerst urinieren. Ich hielt es kaum mehr aus, hinkte eilig dahin, um so rasch wie möglich unter den Felsformationen des japanischen Gartens ins ahnungsvolle Dunkel des Kastanienhains zu gelangen, wo ich mich nach so langer Zeit endlich erleichtern durfte.
    In den vier vorangegangenen Nächten hatten mich die Uferpromenade und das Gestrüpp beim Dominikanerkloster festgehalten, bis hierher war ich nie gelangt, ich konnte also nicht wissen, was das jetzt für ein Ort war, wo ich mit meiner vollen Blase auftauchte.
    Ich kannte ihn von meiner Kindheit her, und

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