Partials 1 – Aufbruch
mehr
der Fall gewesen war – seit der Senat die letzte Ergänzung zum Zukunftsgesetz
erlassen und das Alter für Schwangerschaften auf achtzehn gesenkt hatte. Kira
spürte auf einmal einen Knoten im Bauch und schnitt eine Grimasse. »Was meinst
du – worum geht es bei der Dringlichkeitssitzung?«
»Wie ich den Senat kenne, dürfte es etwas Langweiliges sein. Wir
suchen uns einen Platz an der Tür und können jederzeit verschwinden, falls
Kessler wieder eine Tirade loslässt.«
»Glaubst du nicht, sie haben etwas Wichtiges mitzuteilen?«, fragte
Kira.
»Vor allem geht es denen wohl um die eigene Wichtigkeit«, antwortete
Marcus. »Darauf kann man sich bei dem Senat immer verlassen.« Er lächelte sie
an, erkannte, wie ernst es ihr war, und runzelte die Stirn. »Wenn ich raten
soll, würde ich sagen, sie reden über die Stimme. Heute Morgen hieß es im
Labor, sie hätten diese Woche schon wieder eine Farm angegriffen.«
Kira blickte zum Gehsteig hinunter und wich seinen Blicken
geflissentlich aus. »Ob sie das Alter für Schwangerschaften noch weiter drücken
wollen?«
»Schon wieder?«, fragte Marcus. »Die letzte Anpassung ist weniger
als neun Monate her. Ich glaube nicht, dass sie die Schwelle erneut senken, ehe
die Achtzehnjährigen überhaupt entbunden haben.«
»Das traue ich ihnen ohne Weiteres zu«, antwortete Kira, die immer
noch den Boden anstarrte. »Früher oder später tun sie das ganz sicher. Das Zukunftsgesetz
ist für sie die einzige Möglichkeit, mit dem Problem klarzukommen. Sie denken,
wenn wir genug Kinder bekommen, wird irgendwann eins immun sein, aber das
funktioniert nicht. Es hat in den letzten elf Jahren nicht funktioniert, und es
wird sich nichts ändern, wenn eine Menge junger Mädchen schwanger wird.« Sie
ließ Marcus’ Hand los. »Im Krankenhaus ändert sich nichts. Man versorgt die
Mütter, hält alles steril, registriert alle Daten, und trotzdem überleben die
Kinder nicht. Wir wissen genau, wie sie sterben. Wir wissen so viel über ihren
Tod, dass mir übel wird, wenn ich nur daran denke, aber wir haben absolut
keinen Schimmer, wie wir sie retten sollen. Wir schwängern weitere Mädchen, und
dann bekommen wir neue tote Babys und noch mehr Notizbücher voller längst
bekannter Statistiken über den Tod der Kinder.« Ihr Gesicht wurde heiß, Tränen
schossen ihr in die Augen. Passanten musterten sie, als sie vorbeikamen. Viele
Frauen waren schwanger, und Kira war sicher, dass einige von ihnen ihre Worte
gehört hatten. Wütend und verlegen zugleich schluckte sie und schlang die Arme
um den Oberkörper.
Marcus trat zu ihr und nahm sie in die Arme. »Du hast recht«,
flüsterte er. »Du hast vollkommen recht.«
Sie schmiegte sich an ihn. »Danke.«
»Kira!«, rief eine Stimme aus der Menge.
Sie hob den Kopf und wischte sich mit dem Handrücken die Augen
trocken. Madison winkte ihnen aufgeregt. Wider Willen musste Kira lächeln.
Madison war zwei Jahre älter, aber sie waren gemeinsam aufgewachsen und fühlten
sich in der Patchworkfamilie, die nach dem Zusammenbruch entstanden war, beinahe
wie Schwestern. Kira hob eine Hand und winkte zurück.
»Mads!«
Madison erreichte sie und umarmte sie überschwänglich. Haru,
Madisons frischgebackener Ehemann, folgte einige Schritte dahinter. Kira kannte
ihn nicht gut. Er hatte bei der Abwehr gearbeitet, als er und Madison einander
kennengelernt hatten, und war in den Zivildienst versetzt worden, als die
beiden vor ein paar Monaten geheiratet hatten. Er gab Kira die Hand und nickte
Marcus feierlich zu. Kira fragte sich nicht zum ersten Mal, wie Madison sich in
einen so ernsten Kerl hatte verlieben können, aber im Vergleich zu Marcus war
vermutlich sowieso jeder andere viel zu ernst.
»Schön, euch zu sehen«, sagte Haru.
»Du kannst mich sehen?« Marcus klopfte sich scheinbar erschrocken
ab. »Der Zaubertrank hat versagt! Das war das letzte Mal, dass ich einem
sprechenden Eichhörnchen mein Mittagessen überlassen habe.«
Madison lachte, worauf Haru verwirrt die Augenbrauen hochzog. Kira
beobachtete ihn und wartete, bis sie seinen Mangel an Humor so komisch fand,
dass sie nicht mehr konnte und laut herausplatzte.
»Wie geht’s euch denn so?«, fragte Madison.
»Wir schlagen uns irgendwie durch«, antwortete Kira.
Madison schnitt eine Grimasse. »Eine schlimme Nacht in der
Entbindungsstation?«
»Ariel hat ihr Kind bekommen.«
Madison erbleichte, und in ihren Augen zeichnete sich echte Trauer
ab. Sie war fast achtzehn, und es
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