Partnerschaft und Babykrise
Hause kam, dass er nicht glücklicher war – hatte er doch die beruflichen Anregungen, die ihr so fehlten! – und ärgerte sich noch mehr, als er einen Bildschirm-Arbeitstag pro Woche durchgesetzt hatte und sie von der Kinderarbeit zu entlasten suchte: Er verwöhne die Große, die habe ihn bereits lieber als sie, er bringe ihr von jeder Dienstreise ein Geschenk mit, obwohl sie ihm doch erklärt habe, das sei nicht gut für das Kind.
Viele Paare müssen nach einem oder zwei Kindern damit ringen, dass in ihrer Beziehung erotische Defizite, wechselseitige Entwertungen, Ängste
und Vorwürfe dominieren. Meist wird diese Problematik projektiv verarbeitet. Die eigenen Spannungen werden nicht als Problem erlebt, das von eigenen Enttäuschungen geschaffen ist, sondern so, als gingen sie vom Partner aus. Dieser hat sich verändert, ist desinteressiert, gereizt, selbstbezogen, unfreundlich. Wenn sich in vielen Paaren nach der Geburt eines Kindes die erotische Bindung löst, hängt das mit solchen projektiv abgewehrten Aggressionen zusammen.
Diese stammen aus folgenden Quellen:
1. Einer archaischen affektiven Reaktion auf das Baby als Eindringling in den persönlichen Raum , der Bedürfnisse nach Individualdistanz verletzt.
2. Einer narzisstischen Reaktion. Das Baby kränkt das Selbstgefühl der Eltern auf unterschiedliche Weise:
2.1. Es entzieht ihrer Beziehung symbiotische Anteile.
2.2. Es behindert die Selbstverwirklichung im Beruf.
2.3. Es enttäuscht Erwartungen, das eigene Kind sei »besser« als gleichaltrige Rivalen – schöner, schneller im Spracherwerb, gesünder usw.
2.4. Das Kind enttäuscht Erwartungen, die auf einer Projektion eigener Idealbilder beruhen – es soll z.B. ein Klaviervirtuose, ein Sportstar werden.
Aggression und Besorgnis
Diese Konflikte kündigen sich schon während der Schwangerschaft an. Der Paaranalytiker beobachtet, wie unter dem Erwartungsdruck für die neuen Aufgaben bisher kompensierte
Differenzen die Beziehung belasten. Manchmal reicht bereits der Gedanke an die möglichen Folgen einer Schwangerschaft und die mit dieser verknüpften Veränderungen, um ein Paar in heftige Konflikte zu verstricken. Das gilt vor allem dann, wenn ein Partner Ängste mithilfe zwanghafter Mechanismen abwehrt und sein Gegenüber diese Zwänge nicht entschärfen kann.
In einer individualisierten Gesellschaft lernen sich Frauen und Männer am Arbeitsplatz oder in der Freizeit kennen. Die Eltern spielen dabei kaum eine Rolle. Familientraditionen und traumatische Erfahrungen der Kindheit, gegen die sich Reaktionsbildungen entwickelt haben (»Ich will auf gar keinen Fall so werden wie meine Mutter«, »Ich will nie eine Ehe führen, wie die meiner Eltern war!«) werden von verliebten Paaren selten thematisiert. Oft vergehen Jahre, ehe die Tochter ihren Freund ins Elternhaus mitbringt oder der Sohn seine Lebensgefährtin. Unverträglichkeiten werden durch Ausdünnen des Kontakts und das Festhalten an der aus dem Beruf ohnehin vertrauten, höflichen Fassade ausgeglichen.
Die Schwangerschaft verändert die Beziehungswelt mindestens so sehr wie den Bauchumfang. Der Blick auf den werdenden Elternteil wird schärfer und gnadenloser als der auf den Sexualpartner. Kleine Unreifen beleben womöglich sogar die erotische Leidenschaft. Dem Vater oder der Mutter des Stammhalters hingegen werden sie nicht mehr verziehen. Die eigenen Erfahrungen mit den Eltern, die Identifizierung mit der Mutter oder dem Vater, die Beobachtungen am Austausch zwischen den Eltern und die daraus gewonnenen Identifizierungen (die mindestens so wichtig sind wie
die von Freud beschriebene »ödipale« Dynamik) gewinnen Relevanz.
Bisher haben der seinem kleinbürgerlichen Elternhaus schon lange entfremdete Unternehmensberater Michael S. und seine Lebensgefährtin Ayzet U., eine Musikerin, Tochter liberaler türkischer Migranten, in Deutschland aufgewachsen, ihre leidenschaftliche Beziehung genossen und die Fremdheit des Gegenübers nur aufregend und interessant gefunden. Sie teilen viele Interessen und können sich eine gemeinsame Zukunft gut vorstellen. Durch ein Missgeschick wird sie schwanger. Beide wollten irgendwann Kinder, also warum nicht jetzt?
Sie zieht zu ihm. Bald wird die anfangs geplante Heirat abgesagt. Michael will ein echtes Commitment, wie er sagt. Ayzet zweifelt an seiner Zuneigung. Sie dachte, er sei genau so weit von seiner katholischen Konfession entfernt wie sie und ihre akademisch gebildeten, osmanischen Eltern aus
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