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Patrick: Eine finstere Erzählung

Patrick: Eine finstere Erzählung

Titel: Patrick: Eine finstere Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Sidjani
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sich gegen die Kommode, stützt sich mit den Händen am Rand und hebt ihren Kopf.
    „Du brauchst kein Make-up“, sagt sie, streichelt ihm mit dem rechten Zeigefinger über die Wange. „Du bist perfekt, Michael.“
    Er greift mit beiden Armen um ihre Hüfte und zieht sie zu sich. Ihre Gesichter sind wenige Momente voneinander entfernt. Sie lächelt.
    „Küss mich“, sagt sie. Seine warmen Lippen trinken von ihren. „Und jetzt muss ich wirklich los. Ich...“ Sie hält inne und blickt an ihm vorbei.
    „Du hast noch einen Termin“, sagt er und lässt sie los. Patrizia nimmt ihre kleine Ledertasche vom Stuhl neben dem Bett. „Dieses Bild ist echt gruselig. Muss das da hängen?“
    Nachdem sie ihn verlassen hat, zündet sich Michael eine weitere Zigarette an. Er schlendert in die Küche, füllt Wasser in die Kaffeemaschine und einen Filter mit genug Pulver. Während es beruhigend klackt und schwarze Flüssigkeit in die Kanne fließt, raucht er auf, schmeißt seine Zigarette schließlich in den Abguss und blickt aus dem Fenster, dessen Vorhänge weit aufgerissen sind.
    Der Wiesendamm ist zu dieser Zeit wenig befahren. Die Bäume auf dem Spazierpfad, der die Straße in Hälften teilt, strecken sich nach oben, als wollten sie mit den Häusern um die Wette wachsen. Sie können niemals gewinnen. Vereinzelt laufen Passanten neben ihren Hunden her, warten auf die Geschäfte. Schüler hechten über den Gehweg, Autos brummen leise. Ein Bus rauscht vorbei, müde Gesichter blicken hinaus. Ein Morgen von vielen.
    Mit einem Becher Kaffee kehrt er ins Schlafzimmer zurück, das nicht mehr nach Sex mieft. Er glotzt sich im Spiegel an, sein unrasiertes Gesicht, seinen befriedigten Blick. „Heute wird es dir gelingen“, sagt er und nimmt das Portrait von der Wand. „So hast du sowieso nicht in echt ausgesehen, Tante Agathe.“ Weil er seine Hand nicht ruhig hält, scheint sie zu nicken. Den Becher stellt er auf die Kommode. Tante Agathes blaue Augen strahlen, als ob noch Jahre erfülltes Leben vor ihnen liegen, dabei wurde das Bild nur zwei Monate vor ihrem Tod aufgenommen.
    Auf dem Weg ins Bad, das Bild noch in der Hand, stolpert er über die Türschwelle oder seine eigenen Füße, er weiß es nicht. Während er fällt, scheppert es, etwas knackt, dann schmerzt sein rechter Handballen. Tränen verirren sich über seine Wangen. Der Rahmen des Portraits ist zerbrochen, Tante Agathes Bild von Scherben durchbohrt. Der Kachelboden färbt sich rosa, etwas Goldenes blinkt inmitten des Katastrophengebiets. Michael stöhnt, mit der unverletzten Hand stützt er sich ab und hockt sich über das kaputte Portrait, schaut genauer hin: Was blinkt, ist ein kleiner Schlüssel. Bevor er ihn an sich nimmt, hält er seine Hand unter kaltes Wasser, bis der Blutstrom versiegt. Die Wunde ist nicht tief, aber lang, zieht sich vom Ansatz des Daumens hinunter zur Pulsader. Sie wird in den nächsten Tagen rot leuchten, verkrusten und wahrscheinlich schmerzen, wenn er mit der Tastatur seines Notebooks schreibt. Er verklebt die Wunde mit einem Pflaster.
    Als er den Schlüssel an sich nimmt; die Scherben und den zerbrochenen Rahmen hat er schon aufgehoben und weggeschmissen; bemerkt er, dass auf seiner Reide eine Zahl eingraviert ist: 644, wie bei einem Schlüssel für ein Schließfach. Er ist kleiner und kürzer als ein Haus- oder Wohnungsschlüssel. Gehörte er wirklich Tante Agathe und versteckte sie ihn selbst in ihrem Portrait? Und wenn ja, warum? Selbst wenn der Schlüssel ein Schließfach öffnet, weiß Michael nicht, wo er anfangen soll zu suchen. Sowohl die Deutsche Post oder die Bahn, als auch der Flughafen beherbergen eine Vielzahl an Schließfächern, nicht zu vergessen sind Banken, die die Stadt säumen wie Muscheln im Sand.
    Mit seinem Notebook setzt er sich in die Küche, schenkt sich eine weitere Tasse Kaffee in den Becher. Den Schlüssel legt er neben die Mouse, mit der Gravur nach oben. Während er an seiner aktuellen Kurzgeschichte arbeitet, verliert sich sein Blick, am Bildschirm vorbei, und bleibt an der Reide hängen, und der Zahl: 644.
    Wieder im Badezimmer putzt er sich die Zähne, kämmt sich das Haar, sprüht Deo unter die Achseln. Michael kleidet sich in Jeans, das T-Shirt wechselt er nicht. Vor dem Spiegel im Flur überlegt er es sich anders, setzt eine Baseballkappe auf. Die lang gewordenen Haare stehen hervor wie Stroh unter dem Hut einer Vogelscheuche. Er nimmt die Mütze wieder ab, richtet seine Haare und verlässt

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