Sieben Siegel 09 - Tor zwischen den Welten
Das Hexenmuseum
Das also ist es, dachte Kyra. Das Land des legendären König Artus.
Im Grunde hatte sie es sich gar nicht anders vorgestellt. Grüne Hügel und Wiesen so weit das Auge reichte, unterteilt durch niedrige Mauern aus Bruchstein, die die Landschaft wie ein weitmaschiges Netz überzogen. Bunte Feldblumen wuchsen an den Wegrändern, umschwärmt von Insektenscharen. Und es gab Hecken, genau wie daheim in Giebelstein, endlose, dicht wuchernde Hecken, in denen sich die Kinder dieser Gegend gewiss genauso gerne versteckten, wie Kyra und ihre Freunde das früher zu Hause getan hatten. Über allem hing ein Himmel von tiefem, freundlichem Blau. Ganz ohne Zweifel ein Urlaubshimmel.
Und Urlaub war es, den Kyra hier machen wollte, hier im Süden Englands, an der schroffen Felsenküste der Grafschaft Cornwall. Genauer noch in einem kleinen Dorf namens Tintagel, unweit des Atlantischen Ozeans.
Tintagel war der Sage nach der Geburtsort von König Artus, jenes geheimnisumwitterten Herrschers, der – so die Legende – im Mittelalter das Land Britannien geeint und gegen grausame Gegner verteidigt hatte. Mit seinem magischen Schwert Excalibur hatte er die Feinde seines Volkes von der Insel vertrieben, während sein engster Vertrauter, der Magier Merlin, ihn weise unterstützte und ihn in der Kunst der Diplomatie unterwies.
Niemand wusste genau, was an der Geschichte von Artus und seiner berühmten Tafelrunde der Wahrheit entsprach. Die Wissenschaft hatte eine Vielzahl unterschiedlicher Theorien. Auch Kyras Vater, der bekannte Professor Rabenson, beschäftigte sich in seinem nächsten Buch damit. Nur deshalb war sie hier – weil der Professor wieder einmal eine heiße Spur verfolgte und an Ausgrabungen auf einer winzigen Felsenhalbinsel vor der Küste teilnahm. Dort sollte, so die uralte Geschichte, die Festung gestanden haben, in der Artus und seine verräterische Schwester Morgana geboren worden waren.
Kyra hatte gute Laune. Der blaue Himmel versprach Wärme und Sonnenschein, und die grüne Hügellandschaft war wie geschaffen, um stundenlang darin umherzustreifen oder sich vielleicht ein einsames Plätzchen auf den Klippen zu suchen, aufs Meer zu blicken und nachzudenken. Kyra dachte viel nach in letzter Zeit, und ihre besten Freunde Lisa, Nils und Chris hatten ihr erst kürzlich den Vorwurf gemacht, sie zu vernachlässigen. Aber es war schlichtweg zu viel passiert, seit sie alle Träger der magischen Sieben Siegel geworden waren. Zu viele Abenteuer, zu viele unheimliche Gegner, die es auf ihr Leben abgesehen hatten. Und dann die Veränderungen, die Kyra seit einiger Zeit an sich selbst bemerkte – der Drang, mehr über die Welt der Siegel zu erfahren, über das Arkanum, den schrecklichen Geheimbund der Hexen; der Wunsch, sich noch eingehender mit den Mysterien der Magie zu beschäftigen; und, vor allen Dingen, der tiefe Hass auf die Mächte des Bösen, der sie manchmal selbst erschreckte.
Ja, tatsächlich, ihre Freunde hatten Recht – Kyra war eine andere geworden, seit sie gemeinsam die Rückkehr des Hexenmeisters Abakus vereitelt und die magischen Male auf ihren Armen entdeckt hatten. In ihr brannte mehr und mehr das verzehrende Feuer einer Jägerin, wie ihre Mutter eine gewesen war: die größte und gefürchtetste Hexenjägerin aller Zeiten.
Kyra seufzte. Es ging schon wieder los – sie grübelte einfach viel zu viel herum. Warum konnte sie nicht einfach abschalten, sich entspannen, so wie andere Teenager es in den Ferien taten? Aber nein, sie musste natürlich an Abakus und das verflixte Arkanum denken, an teuflische Gefahren … und an ihre Mutter. Immer wieder an ihre Mutter. Tatsächlich gab es schon seit einigen Wochen nichts, das sie mehr beschäftigte.
Kyra saß in einem klapprigen Überlandbus, der sie nach Tintagel bringen sollte. Sie war mit der Bahn nach England gekommen, geradewegs durch den Eurotunnel unter dem Meer zwischen Frankreich und Großbritannien. Das war spannend gewesen, weil sie die Strecke zum ersten Mal auf diese Weise zurückgelegt hatte. In London war sie in einen Zug umgestiegen, der Richtung Cornwall fuhr, dem westlichsten Zipfel Englands. »West Country« – das Westland – nannten die Engländer die Grafschaft und blickten gern ein wenig abfällig darauf herab, weil es hier so viel ländlicher und abgelegener war als in den zentralen Teilen der Insel.
Kyra aber mochte Cornwall schon jetzt, seine Hügel und Hecken und Weidenmauern, und vor allem gefiel ihr das riesige
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