Pedro Juan Gutiérrez
in Havanna zuging. Sie hatte gehört, dass man in Havanna besser leben konnte, weil es dort Geld gab, also wollte sie unbedingt dorthin. Als sie mir das alles erzählte, sprühte Entschlossenheit aus ihren Augen. »Ich bin ziemlich hübsch, Schätzchen, meinst du, das weiß ich nicht? Kaffee und Hunger können sich alle in den Arsch stecken! Mir reicht's! Nach Palma Clara kehre ich nie im Leben zurück... Gott vergib mir... natürlich, wenn meine Mutter im Sterben liegt, werde ich zurückkehren, sie ist eine Heilige.«
So kam sie also mit leeren Händen. Die ersten Tage lebte sie bei einem Lkw-Fahrer, der sie unterwegs mitgenommen hatte. Doch nach einer Woche verließ sie ihn wieder, denn der Kerl wollte eine kleine Sklavin, die er immer vögeln konnte, wenn er Lust hatte, und die er im Haus einschloss, wo sie arbeitete und sich langweilte. Sie schickte ihn zum Teufel und zog zu einer Nachbarin. Dann ging sie auf dem Malecón anschaffen, und ein Jahr später war aus der kleinen Landpomeranze ein ganz anderer Mensch geworden. Sie sprach sogar anders und bewegte sich elegant. Nicht mehr lange und sie würde dieses Rattenloch auf dem Dach verlassen und in eine anständige Wohnung ziehen. Ich mag Leute wie sie, sie zeigen Stärke. Weicheier jammern und klagen ständig. Schwächlinge glauben immer, jetzt habe ihr letztes Stündlein geschlagen. Dabei ist es genau umgekehrt: Jetzt beginnt alles.
III.
Meinen Atem
Ich ging immer ins Restaurant Floridita und
verbrachte viel Zeit im Rotlichtviertel, spielte
Roulette in allen Hotels und an den Geld-
automaten, aus denen ganze Ströme von
Silberdollars niederprasselten, und besuchte das
Theater Shanghai, wo man für einen Dollar
und fünfundzwanzig Cents die dreckigsten
Stripshows und während der Pause die
schärfsten Pornos der Welt sehen konnte. Und
da ging mir plötzlich auf, diese
außergewöhnliche Stadt, in der alle Laster
geduldet und alle Geschäfte möglich waren, war
genau der richtige Hintergrund für meine
Geschichte.
Graham Greene, Unser Mann in Havanna
Der Mensch ist nicht für die Niederlage
geschaffen. Ein Mensch kann zerstört werden,
aber keine Niederlage einstecken.
Ernest Hemingway, Der alte Mann und das Meer
Mit Basilio in einer Zelle
Basilio sitzt auf seiner Pritsche und kratzt sich die Zehen. Sie stinken. Von Zeit zu Zeit riecht er an seiner Hand. Er kratzt sich und riecht wieder an der Hand. Es gefällt ihm, und er tut es jeden Abend, bevor er duscht. Jedenfalls wenn Wasser da ist und wir duschen können. Die Zeit vergeht schnell, wenn man nicht weiter darauf achtet. Wir haben weder eine Uhr noch einen Kalender. Wir wissen nur, dass der Sonntag zum Ausruhen ist und damit wir uns hier drinnen langweilen. Seit einem Jahr teilen wir uns die Zelle, nachts. Tagsüber arbeite ich in der Matratzenwerkstatt und er auf einem kleinen Bauernhof. Er ist ein tumbes Landei und arbeitet gern auf dem Acker.
Anfangs ging es mir hier ziemlich mies. Ich bekam einen Anfall von Klaustrophobie und verlor die Nerven. Als ich merkte, dass ich hier eingesperrt war, schwoll in mir die Wut, und ich fing an zu schreien mit Schaum vor dem Mund. Ich schlug zwei Wächter, die versuchten, mich festzubinden, woraufhin sie mich an Ort und Stelle niederknüppelten, bis ich das Bewusstsein verlor. Als ich wieder aufwachte, war's noch schlimmer: Ich steckte in einem der Löwenkäfige. Das sind Käfige mit Gitterstäben an allen sechs Seiten, in denen man weder aufrecht stehen noch liegen kann. Man muss sich ständig zusammenkauern. Sie stehen auf dem Dach des Gefängnisses. Und darin war ich viele Tage lang der Stille und der Sonne ausgesetzt. Ich weiß nicht, wie viele. Als sie mich herausholten, war ich völlig schlaff, fast tot. Ich fasse mich kurz, denn ich will mich nicht an alle Einzelheiten erinnern. Es macht mir Angst, zu wissen, dass wir Bestien sind und den hassen, der es laut ausspricht.
»Mensch, Basilio, hör jetzt auf, deine Füße zu kratzen, es stinkt schon genug.«
»Oh, wir sind uns wohl zu fein dafür? Was glaubst du, wo du bist, Schätzchen?«
»Hör zu, Schätzchen und Süßer kannst du die Schwuchteln nennen, die du auf dem Bauernhof fickst, aber mich behandelst du mit Respekt, ist das klar?«
»Oho, jetzt lassen wir wohl den ganz Harten raushängen, was, mein Freund?«
»Da brauch ich gar nichts raushängen zu lassen, ich bin's. Und du zeigst mir jetzt Respekt, verstanden?« Wir sind keine Freunde. Im
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