Pesch, Helmut W.
bitte keine Hektik wegen der paar Wolken.«
Die drei kletterten den Hang hinauf. In der Windstille, die dem Gewitter vorausging, machte sich die Schwüle nur noch mehr bemerkbar. Schon auf der Hälfte der Strecke klebten die T-Shirts ihnen am Leib.
Der Weg nach oben kam ihnen ungleich länger vor als der Abstieg. Einmal hielten sie sogar kurz an, um Atem zu schöpfen. Die drückende Luft machte ihnen ernstlich zu schaffen, aber die Aussicht, die sie von diesem Punkt aus hatten, entschädigte sie für die Anstrengung. Durch eine Lücke in den Bäumen sah man in der Ferne, tief drunten zu ihren Füßen den Rhein.
Sie hatten den Fluss bereits auf dem Abstieg erspäht, doch da hatte der Anblick ihnen nicht viel gesagt. Jetzt aber zog das Bild sie wie magisch an.
»Er sieht aus wie glitzerndes Band …«, entfuhr es Gunhild.
»… eher wie eine graue Schlange, die sich durch die Landschaft ringelt…«, meinte Hagen.
»… für mich ist es ein Schwert, eine stählerne Schwertklinge«, gab Siggi zu verstehen.
Über dem Rhein, von Westen her, ballten sich die Wolken.
Dunst lag über dem Fluss, zog sich durch die Niederungen ins Land und wurde zu Nebel. Wie graue Schleier krochen die Schwaden die Hänge hoch. Die feuchte, heiße Luft konnte man fast mit dem Messer schneiden. Der Himmel im Westen verdüsterte sich zu-sehends, und selbst Gunhild, die Optimistin, räumte ein, dass es ein knappes Rennen zwischen dem Unwetter und ihnen geben wür-de.
Das Grollen des Donners wurde immer lauter, und ein erster Blitz zuckte auf. Der Anblick der gezackten Lichtbahn, die quer über den Himmel raste, hatte etwas Erschreckendes und Faszinie-rendes zugleich.
In Siggis Ohren klang das Donnergrollen wie ein Hohn über ihre Verspätung und ihre Nachlässigkeit. Der Vater hatte doch gesagt, am Abend würde es gewittern. Gegen dieses Versäumnis standen die Abenteuer des Tages und das Gefühl, einen neuen Freund gewonnen zu haben. Siggi sagte sich, gewiss würde er seinen Vater davon überzeugen können, dass dies wichtiger war als ein Versprechen, vor dem Gewitter zu Hause zu sein.
Schnaufend wie drei alte Dampflokomotiven kletterten sie auch das letzte Stück des Hangs hinauf. Diesmal war ausnahmsweise Siggi der Erste, als sie den Rastplatz erreichten. Die anderen beiden folgten ihm auf dem Fuß – und blieben ebenfalls wie erstarrt stehen.
Ihre Fahrräder waren völlig demoliert. Die Reifen waren zersto-chen, die Bleche verbeult, und in den Felgen waren Achten drin.
Alles sah aus, als hätten Vandalen mit Äxten auf die Räder einge-schlagen: Die Rahmen waren total verbogen, der Lack war abge-splittert und alles kaputt. Die Picknickkörbe und ihr Inhalt waren wild auf dem Rastplatz verstreut.
»Scheiße!«, sagte Siggi.
2
Die Rabenhöhle
»Was waren das für Chaoten?«, tobte Gunhild. »Denen wünsche ich die Krätze an den Hals!«
Siggi, der käsebleich geworden war, als er auf die Trümmer ihrer Räder starrte, sagte zunächst gar nichts mehr.
»Wir werden laufen müssen«, stellte Hagen nach einer kleinen Weile fest. »Also, auf geht’s …«
»Ja, wir müssen«, sagte auch Siggi seufzend, »wenn wir noch eine möglichst große Strecke trocken schaffen wollen.«
»Wo entlang?«, fragte Hagen.
Siggi dachte kurz nach. »Was ist, Gunhild? Versuchen wir, nach Hause zu kommen, oder laufen wir zum Waldgasthof und rufen von da aus Vati an?«
Das blonde Mädchen überlegte, sah auf das herannahende Gewitter, dessen dunkle Wolkenfront durch die Lücken in den Baumkronen sichtbar war, und blickte sich um.
»Den Weg zum Gasthof kenn’ ich nicht so gut, aber es ist auf jeden Fall kürzer als bis nach Hause oder ins Dorf. Gehen wir zum Gasthof, das ist das Beste, und wir haben Chancen, nicht allzu nass zu werden«, entschied sie schließlich. »Das ist auch besser so. Da wir die Typen, die das …«, die Worte fehlten ihr, und so deutete sie nur auf die traurigen Reste ihrer Fahrräder. »Da uns diese Kerle nicht entgegengekommen sind, müssen die sich zwischen hier und dem Dorf rumtreiben. Ich glaube, es ist besser, denen aus dem Weg zu gehen. Wer Fahrräder so sinnlos zertrümmert, der schlägt auch kleine Kinder.«
»Gut«, meinte Siggi und sah auf die Schrotthaufen zu seinen Füßen. »Nehmen wir die Räder mit?«
Er bemühte sich, seiner Stimme einen festen Klang zu geben, was ihm auch fast gelang. Gleichzeitig versuchte sich aber aus den Augenwinkeln umzusehen, ob er irgendetwas Ungewöhnliches entdecken konnte.
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