Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
lachen an: die Angst war im Nu gewichen; es war das neuangeschaffte Porträt, das er inzwischen schon vergessen hatte. Das Mondlicht, das das Zimmer füllte, fiel auf das Bild und verlieh ihm eine seltsame Lebendigkeit. Er fing an, das Bild zu betrachten und zu reinigen. Er tauchte einen Schwamm ins Wasser, fuhr damit einigemal über die Leinwand, wusch damit den Staub und den Schmutz ab, die sich auf dem Bilde festgesetzt hatten, hängte es vor sich an die Wand und mußte sich noch mehr über die ungewöhnliche Arbeit wundern: das ganze Gesicht war fast lebendig, und die Augen blickten ihn so durchdringend an, daß er zuletzt zusammenfuhr, zurückwich und erstaunt ausrief: »Er schaut, er schaut mit Menschenaugen!« Plötzlich fiel ihm eine Geschichte ein, die er einmal vor langer Zeit von seinem Professor gehört hatte, die Geschichte von einem Porträt des berühmten Lionardo da Vinci, an dem der große Meister mehrere Jahre gearbeitet hatte und das er immer noch für unvollendet hielt, während es die andern, nach dem Berichte Vasaris, für das vollkommenste und vollendetste hielten. Am vollendetsten waren darin die Augen, über die die Zeitgenossen staunten: selbst die allerkleinsten, kaum sichtbaren Äderchen waren nicht vernachlässigt und auf die Leinwand gebannt. Aber in diesem Porträt, das jetzt vor ihm stand, war etwas Ungewöhnliches. Das war schon keine Kunst mehr, das zerstörte sogar die Harmonie des Bildes selbst; es waren lebendige, es waren menschliche Augen! Sie schienen aus dem Gesicht eines lebendigen Menschen herausgeschnitten und in das Bild eingesetzt zu sein. Hier fehlte jener hohe Genuß, der die Seele beim Anblick eines wahren Kunstwerkes erfaßt, wie schrecklich auch der dargestellte Gegenstand sein mag; hier empfand man ein krankhaftes, peinigendes Gefühl. »Was ist das?« fragte sich unwillkürlich der Künstler: »Es ist immerhin die Natur, die lebendige Natur; woher kommt dann dieses sonderbare, unangenehme Gefühl? Oder ist die sklavische, genaue Nachahmung der Natur schon ein Vergehen und erscheint als ein gellender, unharmonischer Aufschrei? Oder wirkt der Gegenstand, wenn man ihn ohne Teilnahme und Sympathie, ganz gefühllos erfaßt, immer nur als eine erschreckende Wirklichkeit, ohne von der unfaßbaren Idee, die allen Dingen innewohnt, durchleuchtet zu sein, wirkt als jene Wirklichkeit, die man vor sich hat, wenn man, um einen schönen Menschen zu erfassen, nach dem Messer des Anatomen greift, sein Inneres bloßlegt und einen abstoßenden Menschen erblickt? Warum erscheint die einfache, gemeine Natur bei dem einen Maler so erleuchtet, daß man durchaus keinen gemeinen Eindruck hat; im Gegenteil, man glaubt sogar einen Genuß zu haben und nachher alle Dinge um sich ruhiger und gleichmäßiger dahinfließen zu sehen? Und warum erscheint die gleiche Natur bei einem anderen Maler so gemein und schmutzig, obwohl er ihr ebenso treu ist wie der andere? Aber nein, nein, nein es ist nichts Erleuchtendes in ihr. Es ist ganz wie eine Landschaft in der Natur: sie mag noch so großartig sein, aber es fehlt ihr immer etwas, wenn keine Sonne am Himmel steht.«
Er ging wieder auf das Porträt zu, um diese wunderlichen Augen näher zu betrachten, und merkte mit Schrecken, daß sie ihn wirklich ansahen. Es war keine Kopie der Natur mehr; es war jene seltsame Lebendigkeit, von der das Gesicht eines aus dem Grabe auferstandenen Toten erfüllt sein mag. War es das Mondlicht, das Träume mit sich bringt und alles in eine andere Gestalt kleidet, die den Gestalten des positiven Tages entgegengesetzt ist, oder hatte es einen anderen Grund, – jedenfalls war es ihm plötzlich, er wußte selbst nicht warum, schrecklich, allein im Zimmer zu sitzen. Er trat still vom Porträt weg, wandte sich um und bemühte sich, es nicht mehr anzusehen, aber seine Augen schielten immer wieder unwillkürlich hin. Zuletzt war es ihm sogar unheimlich, im Zimmer auf und ab zu gehen: es schien ihm, daß gleich jemand anders anfangen würde, hinter ihm auf und ab zu gehen, und er sah sich jedesmal ängstlich um. Er war niemals feige gewesen; aber seine Phantasie und seine Nerven waren sehr empfindlich, und an diesem Abend hätte er sich auch selbst seine unwillkürliche Angst nicht erklären können. Er setzte sich in einen Winkel, aber auch hier war es ihm, als würde ihm gleich jemand über seine Schulter ins Gesicht blicken. Selbst das Schnarchen Nikitas, das aus dem Vorzimmer herüberklang, vermochte seine Angst nicht
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