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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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Bäume. Ich beobachtete, wie Wolken aufzogen und sie verdeckten. Gegen Morgen begann es zu regnen. Ich kroch unter den Wagen. Der kalte Regen spielte keine Rolle; morgen würde ich gehen. Meine Tante hatte mir aufgetragen fortzulaufen, und jetzt hatte ich einen Grund und einen Ort, an den ich gehen konnte. Morgen würde ich gehen, und ich würde den Ort finden, an dem meine Mutter gestorben war. Ich würde den Pfad der Seelen betreten und sie aufspüren.
    Aber gegen Morgen weckte mich Hartah, und alles fiel in sich zusammen.
    » Junge! Auf, verflucht noch mal, auf jetzt!«
    Ich schreckte hoch und setzte mich so schnell auf, dass ich mir die Stirn an der Unterseite des Wagens stieß, mit einem scharfen Krachen, das mir Speere aus Licht durch den Kopf trieb. Hartah packte mich an einem Arm und zerrte mich unter dem Wagen hervor.
    Die kleine Lichtung war ein Tollhaus. Männer liefen fluchend umher und spannten Hartahs alten Gaul vor einen Wagen, der in den letzten Stunden eingetroffen sein musste. Nach wie vor regnete es, ein langsames, kaltes Nieseln, das mein Wollhemd durchtränkte, als wolle es sich bis in mein Inneres bohren. In den grauen Regenvorhängen glühten sporadisch die Laternen der Männer auf, beleuchteten hier ein angespanntes Gesicht, dort die Ladung des Wagens, die unter einer Plane verborgen war.
    » Komm!«, brüllte Hartah und zog mich mit sich.
    Ein anderer Mann stieß schreiend eine Reihe von Flüchen aus, die scharf genug waren, um Fels zu zerbröckeln, und schrie: » Sie ist zu früh dran! Sie ist zu früh dran!«
    Wir liefen hinter die Hütte und dann weiter. Hier gab es noch einen Pfad, der steil nach unten führte. Während Hartah und ich in die Dunkelheit hinabstiegen, bemühte ich mich, auf dem schlammigen Boden nicht zu stolpern, und hielt im Licht von Hartahs baumelnder Laterne verzweifelt nach sicherem Halt unter dem strömenden Wasser Ausschau. Der Geruch nach Salz wurde aufdringlicher. Ich konnte dicht hinter mir den Wagen hören, das Pferd wurde von jemandem geführt. Wir kamen unter den Bäumen hervor, und der Wind traf mich so stark, dass ich beinahe stürzte. Mit einem Mal konnte ich das Meer unter mir schäumen hören.
    Am Fuße des Pfades stießen wir auf einen kleinen Kiesstrand. Der Himmel war pechschwarz, aber als die Männer Laternen herabbrachten, sah ich, dass der Strand zwischen steilen Klippen und dem Meer lag. Die Kiesel waren von großen Felsen durchsetzt, und noch größere ragten aus dem wilden Meer hervor. Dunkle Wellen hoben sich und brachen sich an den Felsen, manchmal spritzte die Gischt an Land gegen die Klippen. Es regnete stetig weiter.
    » Dort!«
    » Schnell, verflucht!«
    » Sie ist zu früh dran! Zu früh!«
    » Wir können es trotzdem schaffen …«
    Was schaffen? Der blonde Jüngling schubste mich aus dem Weg, so grob, dass ich auf die Steine fiel. Ich kam stolpernd und benommen auf die Beine. Ich schien mir nichts gebrochen zu haben, aber ich zog mich zu den Klippen zurück und blickte mich verzweifelt um. Es gab keinen Weg zurück zur Hütte bis auf den einen Pfad, und dort standen Männer, die ihre Laternen schwangen.
    Der Blonde zog die Plane vom Wagen und warf ihn um. Welche Kraft! Eine Ladung trockenes Feuerholz ergoss sich auf den Strand und bildete einen riesigen Haufen. Jemand entzündete eine Brandfackel, die mit Öl getränkt war, und warf sie auf das Holz, das sofort Feuer fing. Getrocknet und geölt – jemand hatte das Holz mit großer Sorgfalt vorbereitet. Die Flammen stiegen hoch in den windigen Himmel auf, ein riesiges Feuer.
    Und plötzlich sah ich ein Licht weit draußen auf dem schäumenden, dunklen Meer.
    Sie ist früh dran! Wir können es trotzdem schaffen …
    Nein. Nein. Sie würden …
    Ich hatte von solchen Dingen gehört. Ich hatte sie nicht glauben wollen. Wie Hexen oder Flüche, die Krankheiten verursachten, war es zu monströs, als dass ich es glauben konnte. Aber hier, hier und jetzt, war mein Onkel dabei …
    Drei Lichter blitzten schnell hintereinander draußen auf dem finsteren Meer auf, und die Männer auf dem Strand riefen.
    » Sie sieht uns!«
    » Sie kommt näher …«
    » Haltet euch bereit!«
    Das Schiff dort draußen glaubte, das Feuer wäre ein Leuchtfeuer, wie man sie errichtete, um Schiffe zu einem sicheren Hafen zu geleiten. Es segelte dort draußen blind in dem wilden Sturm, und dieses Feuer würde es zu den Felsen locken. Wie weit zogen sich diese Felsen vom Strand aus nach draußen … wie bald würde der

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