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Philosophische Anthropologie

Philosophische Anthropologie

Titel: Philosophische Anthropologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Hartung
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sich als gattungsmäßig verschieden von anderen Lebewesen. »Es scheint jedes Lebewesen eine eigene Lust zu besitzen, wie es [19] auch eine eigene Aufgabe hat. Denn diese richtet sich nach der Tätigkeit. Dies wird klar, wenn man das Einzelne betrachtet: die Lust des Pferdes, des Hundes und des Menschen ist verschieden.« (Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1176a 3–6). Der Mensch erlebt sich nach Aristoteles’ Ansicht als Teil eines Naturzusammenhangs. Die Tatsache, dass er aus einem geistigen (Seele) und einem materiellen (Körper) Teil besteht, erscheint ihm selbst als Konsequenz seiner Teilhabe am und nicht als Differenz gegenüber dem Naturgeschehen.
    Aristoteles kommt es vor allem darauf an, diese Dualität von Seele und Körper im Modus einer Einheit zu betrachten. So entwickelt er seine Vorstellung in der Abhandlung
Über die Seele
, in deren zweitem Buch er die Seele als »erste Entelechie« eines natürlichen, mit Organen versehenen Körpers definiert. Es ist demnach in der Seele als Prinzip des Lebens angelegt, dass sie sich verkörpert und somit die physische Seite ihres Wirkens für ihre Vollendung notwendig ist. Die Verkörperung der Seele, das heißt die spannungsreiche Dualität von Seele und Körper ist nach Aristoteles die Bedingung von Individuation. Aber sie ist wie diese nur eine Zwischenstufe einer Entwicklung der Seelenkräfte, die auf eine vollendete Entelechie der Seele abzielt.
    Aristoteles kann dies alles nur behaupten, weil er zusätzlich von einem allgemeinen Gattungszweck spricht, der sich im Tätigsein des jeweiligen Lebewesens erfüllt. Daher lautet der Grundsatz der aristotelischen Naturphilosophie, dass nichts in der Natur vergeblich, also zweckfrei, geschieht. Für den Menschen heißt das, dass sich in und mit ihm ein Zweck erfüllt, den wir in zweierlei Hinsicht erörtern können. Aus Sicht des individuellen Menschen ist die Einheit von Seele und Körper Prinzip seiner Individuation; aus Sicht des Gattungswesens Mensch vollendet sich im Menschen ein Gesamtzweck der Natur. Aus Sicht dieses Ganzen wiederum wirken alle Kräfte in der Natur auf eine Überwindung von Individuation, die gleichwohl an der Einlösung des [20] Gesamtzwecks Anteil hat. Der aristotelische Mensch erlebt diesen Gesamtzusammenhang und kann ihn im Denken begreifen. Hier im Denken liegt denn auch die Möglichkeit, aus den Widersprüchen gelebten Lebens herauszutreten. Der nicht nur physisch oder psychisch motivierte, sondern geistig schöpferische Seelenteil verweist auf ein »denkendes Tätigsein«, das Glückseligkeit ermöglicht und nicht zuletzt die Liebe der Gottheit erweckt. (Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1179a 25f.)
    Die platonischen und aristotelischen Denkfiguren haben im antiken Kulturkreis auf vielfältige Weise gewirkt und sind schulbildend gewesen. Die römische Kultur hat, in republikanischer und vorchristlicher Zeit, vor allem den Aspekt einer natürlichen Verfasstheit des Menschen und Eingepasstheit in die soziale Ordnung hervorgehoben. Hier ist die stoische Moralphilosophie als eine Lehre der Lebensführung maßgebend. Nach Cicero (106 – 43 v. Chr.) besteht der Mensch aus zwei Bewegungsmomenten (körperlich, seelisch), die einander zugeordnet sind. Im sozialen Kontext geht es um pflichtgemäßes Handeln, das im Wesentlichen darauf beruht, dass der Mensch der »Natur seiner Seele« gemäß lebt. (Cicero, Vom pflichtgemäßen Handeln, I, 99ff.) Die stoische Philosophie entwirft Regeln für den Menschen, die es ihm ermöglichen sollen, sich in der Natur gegen deren Triebkräfte zu behaupten. Sie spricht deshalb vom Ideal der »Beständigkeit des Lebens« (Cicero), der »Selbstmächtigkeit« (Seneca), der »Lebensform« (Marc Aurel) und vom Idealbild des »homo humanus« (Cicero). Letzteres meint eine Überwindung der Naturhaftigkeit, die nur dem einzelnen Menschen gelingen kann. Nur in ihm kommen daher die höchsten sittlichen und geistigen Anlagen des Menschlichen zur Entfaltung.
    Was Platon der sozialen Ordnung überantwortet hat, das muten die Stoiker jedem Einzelnen zu. Wo Aristoteles von einem natürlichen Gattungszweck der Menschheit spricht, entwickelt Cicero das Bild einer »Humanitas«, die nur im je [21] einzelnen Individuum realisiert werden kann. Ein gelingendes Leben, das heißt die Versöhnung der gegenläufigen Momente (Seele und Körper), ist dann nicht mehr als ein Ausdruck persönlicher Stärke. Die stoische Moralphilosophie entwirft beim Übergang von der römischen

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