Stille Seele (German Edition)
Hast du je in tote Augen gesehen?
Hast du darin jemals Gott erblickt?
Schau in meine Augen und sag mir,
dass es jemals Frieden für mich gibt.
Jabehill Highschool, Juni 2002
Das schrille Klingeln der Schulglocke riss Jakob aus einem Tagtraum. Mühsam rappelte er sich aus seiner zusammengesunkenen Haltung hoch und schmiss den zerkauten Kugelschreiber in seinen Rucksack. Matheunterricht bei Mr. Miller: Es gab wohl kaum etwas Öderes. Die Geräuschkulisse wurde lauter und nur ein Bruchteil der Schüler hörte noch auf den schwachen Protest ihres Lehrers. Gegen sein Pult gelehnt, versuchte er erfolglos, ihnen durch die Wand aus Lärm ihre Hausaufgaben mitzuteilen. Jakob beachtete ihn nicht und schlurfte hinter seinen Mitschülern her in Richtung Klassentür.
„Hey, Jay, hast du für Englisch gelernt?“ Carl tauchte im Flur vor ihm auf und stieß dabei gegen mehrere Schüler, als er rückwärts vor Jakob herlief und ihn flehend ansah. „Sag mir bitte, dass du gelernt hast. Ich werde noch wahnsinnig!“
„Ich habe nicht gelernt, Carl. Mein Gott, was soll das? Wir haben unseren Abschluss quasi schon in der Tasche, also entspann dich mal.“ Innerlich war Jakob selbst alles andere als entspannt. Er hatte für diese Prüfung ebenso wenig gelernt wie für die bisherigen, und ganz im Gegensatz zu Carl konnte ihn das noch immer seinen Abschluss kosten. Trotzig wandte er den Blick ab und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass ihm seine Zukunft alles andere als egal war. Ebenso wenig wie die ständigen Ermahnungen seiner Mutter und seines Vaters. Mit einem Brummen erwiderte er. „Bist echt ‘n Streber!“
Carl schob beleidigt seine Unterlippe vor. „Und du bist wie immer schlecht drauf.“
„Wer hat denn angefangen mit diesem Mist?“ Jakob fuhr sich mit der Hand durch die halblangen braunen Haare und erwiderte die Blicke einer kichernden Gruppe Mädchen. Sie standen am anderen Ende des Flurs und sahen zu ihm und Carl herüber.
„Jay, Jakob!“
Widerwillig riss Jakob sich von dem Anblick der Mädchen los und konzentrierte sich auf Carl.
„Ist das dein Ernst? Mädchen? Jetzt?“
„Warum nicht jetzt?“
„Weil dir dein Abschluss genauso wenig egal ist wie mir! Das hoffe ich zumindest!“ Er klopfte Jakob auf die Schulter und zog ihn mit sich. „Wir müssen halt darauf vertrauen, dass es reicht und dass Le nnox das gelernt hat, was mir fehlt! Mut zur Lücke ist gut, aber deine Lücke ist wirklich monstermäßig groß! Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie hatte ich gehofft, du würdest wenigstens zu einer Prüfung etwas beitragen!“
„Ich werde sowieso nicht abschreiben!“
Carl blieb stehen. „Du bist nicht dumm, Jay, aber manchmal frage ich mich, ob ich mich nicht doch irre. Wie kann man so verdammt bockig sein? Ich kenne dich zu gut, um dir den Mist abzunehmen. Du weißt, dass es dir nicht egal ist! Hat dein Dad wieder irgendetwas gesagt, dass du demonstrativ auf deine Zukunft scheißen musst, um es ihm heimzuzahlen?“
Jakob holte tief Luft, stieß sie aber wieder aus, ohne etwas zu erw idern und hasste sich für die Worte, die ihm durch den Kopf schossen. Er ist nicht mein Dad! Aber genau das war Jackson für Jakob – ein Vater. Der einzige Vater, den er jemals bewusst kennengelernt hatte, und das mit allen positiven wie negativen Begleiterscheinungen. Carls Stimme drang an sein Ohr.
„Das ist total idiotisch. Deine Eltern sind echt cool. Ich weiß nicht, was du für ein Problem hast, aber das ist auch völlig egal. Es ist auf jeden Fall nicht so viel wert, dass du deinen Abschluss deswegen schmeißen darfst! Denk an Lenni und mich, an unseren Traum! Hie rauf arbeiten wir seit der Junior High hin!“
„Habe ich dir schon mal gesagt, dass du ‘ne echte Nervensäge bist? Und außerdem, Carl, sind wir so gut wie durch. Es macht keinen Unterschied mehr!“
Carls Augen flackerten unruhig. „Ganz genau genomm...!“
„Nicht der MIT- Blick!“
Irritiert schüttelte Carl den Kopf und fuhr dann unbeirrt fort. „Es gibt keinen spezifischen MIT- Blick, und das weißt du auch.“ Er runzelte angestrengt die Stirn und Jakob fügte in Gedanken hinzu: Oh doch!
„Also ganz genau genommen und laut meiner Berechnungen sind Lennox und ich wirklich schon durch. Wir arbeiten nur noch daran, die nötige Punktzahl für die Unis zu bekommen. Dir hingegen fehlen noch massig Punkte, um es überhaupt zu schaffen, und wenn du nicht gelernt hast, solltest du dich ganz nah an uns ran
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