Philosophische Anthropologie
Kulturkreises entwirft Augustinus (354–430) eine christliche Anthropologie, mit der die Lebensgewissheit antik-paganen Philosophierens ein Ende findet.
Mittelalter und frühe Neuzeit
Im Mittelalter konkurrieren zwei Richtungen christlich-anthropologischen Denkens. Auf der einen Seite steht die aristotelische Sichtweise auf den Menschen als Teil der Naturordnung, so bei Thomas von Aquin (1225–1274) und seinen Schülern, und auf der anderen Seite der Augustinismus, der den Menschen als ein sündiges und erlösungsbedürftiges Wesen aus allen natürlichen Zusammenhängen herausreißt. Mit der Renaissance kehrt auch die Lebensgewissheit des antiken Menschen zurück. Das religiöse Selbsterlebnis bei Francesco Petrarca (1304–1374) bis Pico della Mirandola (1463–1494) und die natürliche Selbsterfahrung im Neostoizismus, vor allem bei Michel de Montaigne (1533–1592), bilden die Eckpfeiler eines weltzugewandten anthropologischen Denkens.
[142] Reformation
Von Nicolaus Cusanus (1401–1464) bis zu Martin Luther (1483–1546) und Blaise Pascal (1623–1662) vollzieht sich in der neuzeitlichen Anthropologie eine Renaissance des Augustinismus, die sich zugleich in einer radikalen Kritik mythischen Denkens und in einer Anerkennung der kopernikanischen Wende im Denken ausdrückt. Angesichts des Scheiterns kosmologischer Spekulation wird eine letzte Rechtfertigung des Menschen im Glauben gesucht.
18. Jahrhundert
Im Zeitalter der Aufklärung fällt in der Nachfolge Descartes’ (1596–1650) und im Rahmen des Materialismus der Blick wieder einmal auf den Menschen als Maß der Natur. Mittels einer mechanistischen Reduktion wird der Versuch unternommen, das Rätsel des Menschen als einer Maschine und damit der Naturordnung insgesamt zu lösen. Die Kritik am Materialismus zielt darauf ab, dass dieser dem dynamischen Wirken der Natur nicht gerecht wird (Herder) oder die Selbsterfahrung des Menschen als eines vernünftigen und freien Wesens ausklammert (Kant).
19. Jahrhundert
Das 19. Jahrhundert ist durch den Siegeszug des Entwicklungsgedankens geprägt. Die von Charles Darwin (1809–1882) ausgehende Provokation zielt auf eine radikale Auflösung aller Ordnungsstrukturen in der Natur und die konsequente Durchführung des Mensch-Tier-Vergleichs. Die Behauptung einer nur graduellen Differenz zwischen Mensch und Tier hat Anklang in der Gesellschafts- und Kulturtheorie gefunden (Darwinismus), aber auch Gegenbewegungen, als da sind die Lebensphilosophie, die Theorie der Geisteswissenschaften und die Existenzphilosophie, hervorgerufen.
[143] 20. Jahrhundert
Aus den Gegenbewegungen zum Materialismus, Darwinismus und Monismus geht im frühen 20. Jahrhundert die philosophische Anthropologie hervor und kommt als Wissensdisziplin auf den Begriff. Max Scheler (1874–1928), Ernst Cassirer (1874–1945), Helmuth Plessner (1892–1985) und Arnold Gehlen (1904–1976) unternehmen auf unterschiedliche Weise den Versuch, eine einheitliche Theorie vom Menschen zu rekonstruieren, die in der Auseinandersetzung mit der Evolutionsbiologie bestehen kann. Neuere Entwicklungen im biologisch-technischen Bereich machen eine Weiterentwicklung dieser klassischen Denkansätze notwendig, wie gegenwärtig in der Renaissance philosophisch-anthropologischer Forschung zu beobachten ist.
Hinweis zur E-Book-Ausgabe
Die in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählung verweist auf die Buchausgabe des Werkes (ISBN 978-3-15-020323-1).
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