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Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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oder nach außen steuerte und am Ring zerschmetterte, stand also zwei zu eins. Ich reichte ihm dieses Ergebnis – was Besseres hatte ich ja nicht.«
    »Informierte sich der Kommandant über das Ergebnis Ihrer Berechnungen?«
    »Er muß es gesehen haben, denn die Ziffern erschienen auf dem Indikator, der zentral über unseren Pulten installiert war. Wir flogen mit kleinem Schub, und ich hatte das Gefühl, Calder könne sich nicht entscheiden, was zu tun sei. Er saß ja wirklich ganz schön in der Patsche. Wenn er jetzt einen Rückzieher machte, so hieß das, daß er sich verrechnet und daß ihn seine Intuition im Stich gelassen hatte. Solange er nicht in Richtung Planet umkehrte, konnte er noch so tun, als hielte er die Sache für zu riskant und zu unrentabel. Aber er hatte schon bewiesen, daß er das Raumschiff trotz der veränderten Schubcharakteristik in der Hand hatte, und obwohl er es nicht aussprach, ging aus seinen folgenden Manövern doch eindeutig hervor, daß er an dem Versuch festhielt, die Sonde auf eine Bahn zu bringen. Wir flogen auf Näherungskurs, und ich nahm ganz einfach an, daß er die Erfolgschance ein wenig erhöhen wollte; sie stieg ja in dem Maße, wie die Entfernung abnahm. Doch wenn es ihm darum zu tun gewesen wäre, hätte er schon längst mit dem Bremsmanöver beginnen müssen – er aber steigerte den Schub. Erst als er das machte, glaubte ich zu wissen, daß er etwas ganz anderes vorhatte. Vorher wäre mir so was gar nicht in den Sinn gekommen. Im übrigen begriffen das alle – und zwar schlagartig.«
    »Herr Zeuge, Sie behaupten, alle Besatzungsmitglieder seien sich in diesem Augenblick des Ernstes der Lage bewußt gewesen?«
    »Ja, Herr Vorsitzender. Jemand, der backbord hinter mir saß, sagte auf einmal: ›Leben ade!‹«
    »Wer war das?«
    »Das weiß ich nicht. Vielleicht der Ingenieur, vielleicht auch der Elektroniker. Ich habe nicht darauf geachtet. Das Ganze spielte sich in Bruchteilen von Sekunden ab. Calder schaltete auf Spitze und gab großen Schub, während er weiter Kollisionskurs auf den Ring steuerte. Es war klar, daß er mit dem ›Goliath‹ mitten durch die Cassinische Teilung hindurch wollte, um unterwegs die dritte Sonde nach der ›Vogel-Methode‹ zu verlieren.«
    »Was für eine Methode ist das?«
    »Wir nennen das so, Herr Richter. Das Raumschiff ›verliert‹ die Sonde im Flug wie ein Vogel ein Ei ... Aber der Kommandant verbot ihm das.«
    »Der Kommandant verbot es ihm? Erteilte er denn diesbezüglich einen Befehl?«
    »Jawohl, Herr Richter.«
    »Einspruch der Anklage! Der Zeuge verdreht die Tatsachen. Der Kommandant erteilte keinen derartigen Befehl.«
    »Klar! Der Kommandant versuchte, einen Befehl zu erteilen, aber er konnte keinen vollständigen Satz mehr formulieren. Calder gab zwar Vorwarnung wegen der bevorstehenden Höchstbeschleunigung, aber erst Sekun denbruchteile vor dem eigentlichen Manöver. Als es rot aufleuchtete, schrie ihm der Kommandant etwas zu, aber Calder ging im selben Augenblick auf vollen Schub. Unter dieser Presse – über 14g! – hat man keine Sinne mehr. Es sah so aus, als wollte ihm Calder die Worte auf den Lippen zerquetschen. Ich behaupte nicht, daß er das tatsächlich vorhatte, aber es sah so aus. Wir wurden so zusammengestaucht, daß ich das Sehvermögen verlor. Der Kommandant konnte gerade noch einen Schrei ausstoßen ...«
    »Herr Vorsitzender, die Anklage erhebt Einspruch gegen die vom Zeugen gebrauchten Formulierungen. Entgegen eigenen Vorbehalten versucht er zu suggerieren, der Pilot Calder habe vorsätzlich und böswillig versucht, den Kommandanten an einer Befehlsausgabe zu hindern.«
    »Ich habe nichts dergleichen gesagt.«
    »Ich entziehe dem Zeugen das Wort. Das Tribunal gibt dem Antrag der Anklage statt. Bitte streichen Sie die Worte des Zeugen, angefangen bei: ›Es sah so aus, als wollte ihm Calder die Worte auf den Lippen zerquetschen.‹
    Ich ersuche den Zeugen, sich jeglicher Kommentare zu enthalten und genau die Worte zu wiederholen, die der Kommandant wirklich gebraucht hat.«
    »Tja also, wie gesagt, der Kommandant konnte seinen Befehl zwar nicht mehr in einen vollständigen Satz kleiden, aber der Sinn war klar. Er verbot Calder, in die Teilung vorzustoßen.«
    »Einspruch der Anklage. Für die Wahrheitsfindung ist es nicht wesentlich, was der Angeklagte Pirx sagen wollte, sondern nur das, was er tatsächlich gesagt hat.«
    »Einspruch stattgegeben. Beschränken Sie sich darauf, was im Steuerraum gesagt

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