Pinien sind stumme Zeugen
geographische Grenze zwischen Mittel- und Süditalien dar. Auf hohen Kreidefelsen liegen prächtige Häuser wie Vogelnester. Nebeneinander die Residenzen der Reichen wie der Neureichen. Eine solche Unterscheidung hält Avocato Dr. Lello Vanoni für müßig, weil sie der einen Gruppe vorhält, mit einem goldenen Löffel zur Welt gekommen zu sein, und der anderen verübelt, aus eigener Kraft das Goldbesteck erworben zu haben.
Der gewiefte Rechtsanwalt – Mitte vierzig, schlank, lebhafte dunkle Augen, Silberschläfen – trägt den Erfolg wie einen Maßanzug. Neben seiner Stadtwohnung in Rom besitzt er in Terracina eine pompös-spatiöse Villa, die er gelegentlich bei ganz wichtigen Klienten zur Geschäftsbesprechung nutzt.
Heute ist es die Führungsspitze des Lupini-Clans, aber nur der Capo di capi, Palermos größter Bauunternehmer, wohnt im Hause selbst. Wie jeden Morgen hat er die Frühmesse in der Kathedrale San Cesareo aus dem 12. Jahrhundert besucht und danach in dem früheren Apollotempel die auf elf Säulen ruhende Vorhalle bewundert und das herrliche Mosaik bestaunt. Terracina atmet Geschichte: Hoch oben auf dem Kreideberg sind auch noch die Reste eines alten Jupitertempels zu bestaunen.
»Buon mattino«, begrüßt der Hausherr den Capo di capi der Lupini-Familie. »So früh schon auf den Beinen?«
»Du weißt, daß ich am Morgen nicht im Bett liegen kann, Lello.«
»Du hast's gut, Ciccio«, erwidert der Avocato. »Ich muß alle möglichen Tricks anwenden, um wach zu werden. Frühstück?«
»Hab' ich schon eingenommen – unten in der Stadt«, antwortet Zampata. »Sag mal, Lello, hast du die Lardo-Zahlen im Kopf?«
»Aber ja. Wir haben bis jetzt ungefähr dreißig Millionen unter die Leute gebracht – ohne jede Panne; jetzt haben wir noch zehn bis zwölf Millionen Bestände aus Berlin.«
»Wie steht's um unsere eigene Fertigung?«
»Fast perfekt. Der Baron ist noch nicht hundertprozentig mit der Farbe zufrieden. Ich wollte ohnedies mit dir darüber sprechen, Ciccio. Wir werden nicht darum herumkommen, ein paar der alten Spezialisten aus Rumänien und Ungarn einzuschleusen. Die Namen und Adressen sind bekannt.«
Der Mann mit den Lurch-Augen nickt.
»Gibt's Ärger?« fragt Vanoni.
»Ärger gibt es immer, Lello«, entgegnet der Padrino. »Ich fürchte, du mußt sofort nach Amerika fliegen, um die Sache abzudichten.« Er sieht dem Anwalt an, daß ihm die Reise ungelegen kommt. »Spiace«, sagt er. »Ich hab' das Ticket schon bestellt. Du mußt morgen abreisen. Wann hast du Lino und Filippo beordert?« fragt er dann.
»Nach Tisch?« antwortet Vanoni, der die Vorliebe des Don für ungestörte Tafelfreuden kennt.
Der Gast betritt die Küche. Persönlich hat er darum gebeten, zum Pranzo eine Pasta con le sarde zuzubereiten, ein herrliches Spaghetti-Gericht mit Sardinen, Pinienkernen und Safran, angerichtet mit wildem Fenchel. Zu seiner Vorstellung von einem ordentlichen Leben gehört die stille Morgenandacht genauso wie ein mundendes Mittagsmahl. Ciccio Zampata gleicht eher einem biederen Patriarchen als einem mordwütigen Mafia-Boss, tatsächlich aber ist er beides. Seine Lider sind verdickt, seine Lurchaugen wirken immer wie halb geschlossen. Da er meistens das Kinn ein wenig anhebt, sieht es aus, als müsse er es tun, um genügend von seiner Umwelt zu sehen.
Viermal ist der Padrino des Lupini-Clans bereits angeklagt gewesen und ebenso oft freigesprochen worden. In Sizilien, auf der Insel, die im Laufe ihrer Geschichte durch so viele blutige Hände gegangen war, gilt er als Ehrenmann. Selbst hohe Politiker buhlen um seine Gunst, nicht nur Lokalprominenz, auch Spitzenleute in Rom. Zudem ist er bestens beraten von dem Staranwalt und Wirtschaftsspezialisten Dr. Lello Vanoni.
Die Lupinis sind eigentlich ein Konzern, in New York geführt von dem ältesten Sohn Zampatas; doch immer noch streng geleitet vom sizilianischen Stammhaus, das zwar noch die herkömmlichen Geschäfte wie Schutzgebühren, Erpressung, Baubetrug, Wettbüros, Prostitution betreibt, aber den größten Teil seiner Umsätze bereits mit legalen Geschäften macht. Das wird sich freilich bald gründlich verschieben, wenn die Falschgelddruckerei endlich läuft.
Um 16 Uhr treffen in kurzen Abständen aus Rom Filippo Cipollini und Lino Pallottola ein. Jeder der beiden Sottocapi im eigenen Wagen und mit eigenem Fahrer, um schon dadurch anzuzeigen, daß sie einander nicht ausstehen können. Filippo, einen halben Kopf kleiner als sein
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