Pizza Letale: Palinskis elfter Fall
zu tun auch ihm durch den Kopf gegangen, wozu er aber zu feig gewesen war. Eine bewundernswürdige Frau, seine Wilma.
Nach drei weiteren Gläsern Sekt hatte Palinski bereits etwas Schlagseite, was ihm unter den gegebenen Umständen aber niemand zum Vorwurf zu machen schien. Im Gegenteil, alle waren so lieb und nett, ganz so, als ob er in irgendeine Katastrophe geraten wäre.
Na klar, das war ja auch nur zu verständlich. Wilma war nicht erschienen, stattdessen war ein Schreiben gebracht worden. Das konnte nur eines bedeuten, und das bedeutete es ja schließlich auch.
Wilma hatte ihn sitzen lassen und damit genau das getan, womit er selbst auch kokettiert hatte. Nur ganz wenig, nur so am Rande und vor allem nicht konsequent genug.
Ehe es zu weiteren Missinterpretationen kam, sollte er die Anwesenden vielleicht aufklären. Vor allem aber musste er dieser Tante vom Standesamt Bescheid geben, bevor sie noch auf die Idee kam, mehr Geld zu verlangen. Am Nägelbeißen war die Frau Magistra ohnehin schon, das hatte er vorhin ganz genau beobachten können.
Vorsichtig stand er auf und testete den herrschenden Gleichgewichtszustand. Sehr gut, alles in Ordnung.
»Freunde, Bürger, Römer«, Palinski rülpste kurz, aber kräftig. »’Tschuldigen«, meinte er und dann: »Ich glaube, es wird Zeit für eine Erklärung. Erstens, die Hochzeit findet nicht statt, aber das habt ihr ja sowieso mitbekommen. An dieser Stelle danke ich Frau Magistra Kolbinger für ihr hartnäckiges Ausharren. Ihre Dienste werden heute nicht mehr benötigt. Falls Sie aber mit uns feiern wollen, sind Sie uns herzlich willkommen.«
Diese Aufforderung schien ganz im Sinne des Kollegen Bachmayer gewesen zu sein, denn der schmucke Oberleutnant war schon die ganze Zeit über heftig am Kochen bei der attraktiven Standesbeamtin.
Auch gut, selbst Zahnärzte bekamen gelegentlich Paradontose, oder wie das Zeugs hieß.
»Wilma hat mich also sitzen lassen, so nennt man diese Situation ja wohl«, räumte er ein. »Und dennoch wird diese Beschreibung des Istzustands der Realität einer 27-jährigen guten Partnerschaft nicht gerecht.«
Er atmete tief durch, ehe er fortfuhr. »Es wird am besten sein, wenn ich euch Wilmas Brief ganz einfach vorlese.« Er rülpste nochmals, diesmal aber absolut dezent. »Und ich verbiete mir jede blöde Bemerkung. Dazu ist die Angelegenheit viel zu ernst.«
Erwartungsvoll nahmen die Anwesenden wieder Platz, auch Palinski setzte sich, nahm das Schreiben heraus und legte es vor sich auf den Tisch. Auf jenen Tisch, an dem ursprünglich die Standesbeamtin ihres Amtes hätte walten sollen.
»›Lieber Mario‹«, begann der Brief nicht unerwartet. »›Spätestens jetzt wirst Du erkannt haben, dass unsere Hochzeit nicht stattfinden wird. Zumindest nicht heute. Lass mich vorab eines klarstellen. Meine Entscheidung, Dich in so einem wichtigen Augenblick unseres Lebens allein zu lassen, ist zwar spontan gefallen, aber durchaus nicht unüberlegt. Sie hat auch nichts mit Liebe oder Nicht-Liebe zu tun, denn ich liebe Dich jetzt genau so wie heute Morgen, gestern Abend oder vor 20 Jahren. Na ja, vielleicht ein bisschen anders als vor 20 Jahren. Aber nicht weniger intensiv.‹«
Von irgendwo drang verhaltenes Schluchzen an Marios Ohr. Das kam sicher von dieser Magistra, die war genau der Typ dafür. Und das Schneuzen, das aus den hinteren Reihen kam, musste wohl von Fink Brandtner stammen.
Ein Baum von einem Mann, aber innen batzweich. Ein ganz besonders lieber Mensch.
»›An dem Tag, an dem wir beschlossen haben, nun doch zu heiraten, bin ich der glücklichste Mensch gewesen.‹« Palinski, der am Anfang sehr schnell gelesen hatte, war langsamer geworden. Betonte die einzelnen Worte deutlicher, kurzum, er las jetzt viel besser als zu Beginn.
»›Aber von dem Tag an hat mich die Vorstellung, dieses ritualisierte Ja zueinander zu sagen, immer unsicherer gemacht. Und ich glaube auch beobachtet zu haben, dass Du, mein Lieber, begonnen hast, Dich zu verändern. Nicht stark, für andere wahrscheinlich gar nicht wahrnehmbar, aber für mich unübersehbar. Bis dahin bist Du immer ein häufig zwar unbequemer, aber stets ehrlicher Partner gewesen. Und plötzlich musste ich Anzeichen eines kleinen Machos an Dir entdecken. Dieses ›Wenn wir erst einmal verheiratet sind, dann …‹. Gut, so deutlich hast Du es nicht formuliert, aber so ist es bei mir angekommen. Ich habe Angst gehabt, durch die Heirat einen guten Mann zu verlieren und mir dafür
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