Plasma City
riecht.
Überall liegen Glasscherben und alte Möbel herum, dazwischen Fäkalien. Wer auch immer hier lebt, scheint im Augenblick nicht zu Hause zu sein. Aiah weicht dem schlimmsten Dreck aus, der Gesang im Tempel folgt ihr wie eine angenehme Erinnerung. Als sie die Gasse verlassen hat, wendet sie sich nach Osten, um zuerst einmal ein paar Straßenzüge zwischen sich und die Cops von der Behörde zu bringen, dann biegt sie nach Norden zur Pneumastation ab. Die Pneuma bedient dieses Viertel nicht direkt, sondern ist fast einen Radius entfernt, aber wenn sie schnell geht, müsste sie die Station in zehn bis zwölf Minuten erreichen.
Sie überquert die Straße und marschiert einen halben Block hinunter, bis sie das Gebäude auf der linken Seite erkennt. Es ist der alte Tempel mit den aus Stein geschnittenen Verzierungen, den Ranken und Ungeheuern, die sie in der Kindheit so oft gesehen hat. Der Absatz vor den Stahltüren ist mit Reis und anderen Opfergaben übersät.
Aiah geht langsam hinüber, kramt in der Tasche herum und zieht ein paar Münzen heraus, die sie vor die Stahltür wirft. Das Kleingeld fällt wie ein silberner Schauer und prallt mit einem hellen Klingen gegen den Stahl. Aiah dreht sich um, lacht und läuft weiter.
Hoffentlich ist Khorsa so amüsiert wie sie.
Kein rotes Licht erscheint vor ihrem Gesicht.
In der kalten, leeren Pneumastation muss sie lange warten. Ein letzter trauriger Gedanke an Gil lässt einen Kloß in ihrem Hals wachsen. Er wird nach Hause zurückkehren und die leere Wohnung vorfinden, dazu einige Rechnungen, die er mit seinem Gehalt nicht begleichen kann. Sie muss ihm Geld von ihrem Konto schicken, zwanzig- oder dreißigtausend, genug für die Hälfte des Apartments …
Die Pneuma kommt, und sie steigt ein und fährt direkt zur Gold Town InterMet, wo sie eine Fahrkarte nach Karapoor kauft. Etwas ängstlich zeigt sie der verschlafenen Fahrkartenverkäuferin ihren Pass, um ihr zu beweisen, dass sie tatsächlich nach Karapoor fahren darf – vielleicht ist sie ja schon zur Fahndung ausgeschrieben. Aber die Schalterbeamtin sieht kaum auf das Passfoto, drückt auf den Knopf und Aiahs Marke rutscht aus dem Schlitz.
In Karapoor kann sie eine Hochgeschwindigkeitspneuma nehmen, mit der sie bis morgen Mittag den halben Weg nach Caraqui geschafft haben wird.
Sie steigt in den InterMetropolitan und betrachtet die Mitreisenden. Die meisten sind müde Pendler mit glasigen Augen, die nach Hause fahren. Sie sucht sich einen Sitzplatz, die Türen schließen sich. Der Wind pfeift über die glatte Außenhaut des Waggons, als das System Luft holt, dann wird der Wagen mit einem kräftigen Ruck hinaus in die Welt geschleudert.
Constantine ist oft tödlich für seine Freunde. Soryas Worte fallen ihr ein.
Nun ja, das ist ein Risiko, das sie eingehen muss.
Sie nimmt den vierzehnten Band der Protokolle aus dem Beutel und schlägt das Buch auf. Rohders Forschungen werden ihr Geschenk an Constantine sein, wenn sie bei ihm ankommt.
Kein sichtbarer Grenzübertritt verrät ihr, dass die Flucht geglückt ist. Irgendwann zischt es einfach, und der Wagen bremst ab, wird ausgefädelt und hält an der InterMetstation von Karapoor.
Dann auf einmal, als die müden Fahrgäste ihre Siebensachen einsammeln, wird es strahlend hell im Waggon. Kleine, leuchtende Plasmaflocken scheinen von der Decke zu rieseln wie bunte Schneeflocken. Die anderen Fahrgäste heben verwundert die Köpfe. Ein Geschenk von Khorsa, die Aiah bis hierhin gefolgt ist.
Der zauberhafte Schnee, bemerkt Aiah, fällt in allen Farben. Nur nicht rot.
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