Ploetzlich Liebe
machen und alle möglichen Kriterien gegeneinander abwägen und sogar gelegentlich Pro und Contra anschaulich in einer Tabelle darstellen, aber am Ende, wenn ich erst mal zu einem (wohl durchdachten) Schluss gekommen bin, dann war es das: vorbei, zu Ende, Punkt. Kein Bedauern, keine Wiederholungen und ganz bestimmt kein Sinneswandel.
Aber jetzt …
Trotz der Sonne zittere ich, als ich mich an meinen Gesichtsausdruck in diesem letzten Bild erinnere. In England wird alles wieder so sein wie immer, daran habe ich keinen Zweifel, aber ist das wirklich so gut? Ich hab mein altes Leben vermisst, die akademische Starre, das befriedigende Leistungskonzept – warum wird mir also so mulmig bei der Vorstellung, bis zwei Uhr nachts an einem Essay zu arbeiten oder mich jeden Tag für acht Stunden in der staubigen Bibliothek von Raleigh zu vergraben?
Ich bin hier auf den Geschmack von etwas anderem gekommen – das ist das Problem. In den vergangenen drei Monaten habe ich mich zum ersten Mal aus dem Strudel von Schule und Karriereplanung herausbewegt, zum ersten Mal habe ich mein Leben von außen ansehen können und mich als die, die ich bin.
Gestresst. Perfektionistisch. Ein Kontrollfreak.
Leise wiederhole ich diese Worte, und dann noch einmal, bis mir mit jeder geflüsterten Silbe leichter zumute ist.
So schwer sollte es nicht sein.
Das habe ich auf dieser Reise gelernt, begreife ich – abgesehen davon natürlich, wie man sich als California Girl kleidet und aufgeregtes Kreischen simuliert. Mein Leben sollte nicht so schwer sein. Ich bin neunzehn Jahre alt, stecke bis zum Hals in Aktivitäten und Arbeit und ich tu so, als ob mich ein falscher Zug unweigerlich in eine Abwärtsspirale ziehen würde. Fast so, als ob ich nur einen einzigen nicht eingehaltenen Stundenplan davon entfernt wäre, bis in alle Ewigkeit im Dorfsupermarkt Dosen zu stapeln.
Ich fange an zu lächeln. Ein Gefühl der Beruhigung breitet sich in mir aus und wärmt mich wie die Sonne von Florida. Denn in diesem Augenblick weiß ich ohne jeden Zweifel, dass alles gut wird mit mir. Nein, besser noch, es wird mir ausgezeichnet ergehen. Aber nicht, wenn ich mich wieder einwickeln lasse von Stress und eiskalter Angst und dem ständigen Druck von Oxford, mehr zu machen. Deswegen hatte ich auf dem Foto diesen grauenvollen Gesichtsausdruck.
Ich hatte immer gedacht, ich würde das beste Leben anvisieren, das es gab, das Leben, das ich nach den Vorstellungen meiner Eltern anstreben sollte zu erreichen. Aber jetzt weiß ich, dass ich etwas Besseres verdient habe als die sauberen Pläne, die ich so sorgfältig entworfen habe; ich verdiene dieses Hochgefühl, das ich hatte, als ich unseren Film auf der Leinwand im Auditorium gesehen habe, ich verdiene Lachen und Abenteuer und dieses Gefühl der Unsicherheit, das sich einstellt, wenn man ohne Plan lebt.
Ich zucke zusammen, als plötzlich ein Körper neben mir in den Sand fällt. Tash reicht mir eine offene Schachtel Krispy Kremes, aus denen Pudding und Kalorien quellen.
»Zum Frühstück?«, rufe ich, mein Puls rast immer noch wie wild von den Offenbarungen.
»Hm«, nuschelt sie durch einen Mund voll Glasur. Ich versage mir alle weiteren ernährungsbezogenen Kommentare und stopfe mir stattdessen weichen frittierten Teig in den Mund. Die bei Weitem genussreichste Variante.
»Und was haben wir heute vor?«, fragt Tash gähnend.
»Weiß nicht«, sage ich nachdenklich und rekele alle Spannung und alle Sorgen aus meinen Muskeln. Um uns herum füllt sich der Strand mit Studenten, die sich darauf vorbereiten, beim Bräunen wirklich alles zu geben, die Brise riecht nach Sonnencreme und Meer. »Ich dachte, wir liegen ein wenig in der Sonne, entspannen uns ein bisschen …«
»Perfekt«, sagt Tash. »Und vergiss nicht, wir haben Wireless-Anschluss im Hotelzimmer, falls dir danach sein sollte, rüberzulaufen und Ryan zu mailen.«
Ich lache über ihre Hartnäckigkeit. »Gibst du nie auf?«
»Öh, nein.« Sie lächelt schief. »Das machen Freundinnen so.«
»Na dann …« Ich lächle träge. »Vielleicht schreibe ich ihm noch schnell eine Nachricht, ehe wir in den Pool springen. «
Tash kreischt und packt mich. »Ernsthaft?«
»Ernsthaft.« Ich kichere und stelle erleichtert fest, dass sich dieser Entschluss wirklich endgültig anfühlt.
»Hab ich doch gewusst!«, kreischt sie. »Irgendwann knickst du ein, das wusste ich. Und ich hatte noch nicht mal mit dem Filmmarathon angefangen oder dir Schuldgefühle gemacht
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