Polt - die Klassiker in einem Band
man noch reden mit dir, Bruno?“
Bartl rückte dicht an Polt heran. „Jetzt sind wir zwei. Wie ein Ehepaar.“
„Na, na! Aber du warst ja einmal verheiratet, glaub ich.“
„Glaub ich auch.“ Bartl streckte eine grindige Hand der Kerzenflamme entgegen. „Bald ist Weihnachten, Herr Inspektor Polt.“
„Und wie wird’s dir dann gehen, so allein?“
„Feierlich. Sie sind ja auch allein, fast.“
„Recht hast, Bruno. Aber kalt wird es sein, hier.“
„Wie im Himmel. Da haben die Heiligen Bärte aus Eiszapfen. Und die Engel haben Flügel aus Schnee.“
„Deine Phantasie wünsch ich mir.“
„Alles ist wahr, Herr Polt. Zu Weihnachten ist alles wahr. Und Sie werden ja auch was trinken, zu Weihnachten, nicht?“
„Kann schon sein.“
„Trinken ist schön. Wie Sterben.“
„Wie alt bist denn jetzt, Bruno?“
„Weiß nicht. Kenn mich nicht mehr aus in meinem Leben.“
„Aber in den Kellergassen kennst dich aus, stimmt’s?“
„Überall kenn ich mich aus.“
„Also dann denk einmal nach: Zwischen Burgheim und Brunndorf steht ganz einsam ein großes Preßhaus. Kennst du das?“
Bartl wandte sich Polt zu und starrte ihn an. „Muß ich?“
„Was schaust denn so, Bruno? Warst du dort in den letzten Tagen, in der Nacht vielleicht? Hast was gesehen? Komm schon, Bruno. Mir kannst alles erzählen.“
„Ich habe weggeschaut, Herr Inspektor Polt. Ganz schnell hab ich weggeschaut.“
„Und warum?“
„Weil man da nicht hinschaut.“
„Und bevor du weggeschaut hast?“
„Haben sie geheiratet.“
„Geheiratet? Wer?“
„Es war finster. – Werden Sie auch heiraten, Herr Inspektor Polt?“
„Na, du fragst Sachen!“
Bartl saß lange still da, und Polt dachte schon, er sei eingeschlafen. Aber dann regte er sich doch wieder. „Wenn Sie was getrunken haben zu Weihnachten, mit wem gehen Sie dann schlafen, Herr Polt?“
„Mit mir.“ Polt erhob sich. „Darf ich bald wieder einmal kommen, Bruno?“
Bartl stand schwankend auf und breitete die Arme aus. „Sie sind mein Gast!“
Schnee
Simon Polt stellte seine halb ausgetrunkene Kaffeetasse ab, ging zum Küchenfenster und öffnete es. „Na also!“ sagte er. In der Nacht zum vierundzwanzigsten Dezember war kräftiger Wind aufgekommen, und es hatte geschneit. Jetzt war es windstill, doch die Flocken fielen noch immer. Polt schaute dem Kater Czernohorsky zu, wie er leichtpfötig sein nunmehr weißes Revier erkundete, und er wartete, bis die frische Winterluft den Raum füllte. Dann widmete er sich wieder dem Frühstückstisch, auf dem erstmals im Advent auch ein Teller mit Weihnachtsbäckerei stand. Frau Kurzbacher hatte Polt mit Zimtsternen, Husarenkrapfen, Lebkuchen, Kokosbusserln und Gewürzspekulatius bedacht. Von Karin Walter stammten die Vanillekipferl. Auch bei wohlwollender Betrachtung mußte Polt zugeben, daß sie ziemlich hart geraten waren. Andererseits hatte er so länger daran zu beißen, und das tat er auch mit gebotener Innigkeit. Karin selbst hatte sich ihm entzogen, wenn auch nicht gerne. Sie war für zwei Wochen zu ihrer Mutter ins Waldviertel gefahren und hatte Polt das Versprechen abgenommen, sie dort nicht anzurufen. Die Mutter war schon sehr alt und ziemlich eigen. Sie betrachtete ihre erwachsene Tochter als höchst schutzbedürftiges Mädchen, kaum den Kinderschuhen entwachsen. Der Umgang mit Männern oder gar mit einem Gendarmen paßte so gar nicht in dieses Bild.
Nach dem Frühstück machte Polt einen kurzen Besuch in der Dienststelle und trank mit seinen Kollegen Kaffee. Die naturnahe Frau des Dienststellenleiters hatte zur Feier des Tages Nervenkekse nach dem Rezept der Hildegard von Bingen gebacken. Polt kostete und stellte zu seinem Erstaunen fest, daß ihm erstmals ein Produkt aus der Küche Helene Manks schmeckte. Dann wünschte er allen ein frohes Fest und wenig Ärger im Dienst.
Er verließ das Haus und spazierte gemächlich durch Burgheim. Auf der Straße lag Schnee, weil im Ortsgebiet kein Salz gestreut wurde, und die wenigen Autos bewegten sich langsam und leise. An diesem Vormittag waren in Burgheim etwas mehr Menschen unterwegs als sonst, doch kaum jemand hatte es eilig. Die Wiesbachtaler neigten einfach nicht dazu, Dinge im letzten Moment zu erledigen. Vor einem Textilgeschäft, in den 50er Jahren eingerichtet und seitdem seiner Linie treu geblieben, traf Polt Frau Stirbl, die offensichtlich hier eingekauft hatte. Er grüßte freundlich. „Aufpassen, daß Sie nicht fallen, es ist glatt
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