Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)

Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)

Titel: Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cendrine Wolf , Anne Plichota
Vom Netzwerk:
Rendezvous mit dem Schicksal
    I
n den Tiefen des siebten Stockwerks unter der Gläsernen Säule leuchtete die Tür zur Kammer mit der faszinierenden Intensität von schmelzendem Metall. Gleißend helle Lichtstrahlen drangen beim Türrahmen und aus dem Schlüsselloch hervor. Wie gebannt beobachtete Oksa das Geschehen. Endlich war es so weit, sie würde die Kammer des Umhangs betreten. Ein Schwall von Bildern, angefangen bei der Entdeckung ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten zu Hause in London bis hin zu ihrer Ankunft in Edefia, tauchte aus ihrer Erinnerung auf und bestärkte sie noch in ihrer Entschlossenheit. Sie holte tief Luft und drehte sich um. Die anderen standen im Halbkreis um sie herum und ließen sie nicht aus den Augen: in der Mitte ihr Vater und die Rette-sich-wer-kann, streng bewacht von den finster blickenden Treubrüchigen unter Ocious’ Führung. Alle waren da. Alle außer den vier Menschen, deren Abwesenheit ein tiefes Loch in Oksas Herz riss: ihre Mutter und Gus, der mehr als ein Freund für sie war; Dragomira, ihre Großmutter, die nicht mehr unter ihnen weilte; und Tugdual, der undurchschaubare junge Mann, in den sie hoffnungslos verliebt war.
    Oksa kniff die Augen zusammen, einerseits, um zu verhindern, dass jemand ihr die tiefe Erregung ansah, und andererseits, um sich vor dem intensiven Leuchten zu schützen, das von der Tür ausging und millionenfach gebrochen von den edelsteinbesetzten Wänden zurückgeworfen wurde. Die Leuchtkraft nahm von Sekunde zu Sekunde zu. Noch unerträglicher war jedoch das permanente Geflatter der Totenkopf-Chiropter und der Hellhörigen über ihren Köpfen, das einen Effekt wie von Stroboskoplicht auslöste. Oksa warf einen angewiderten Blick auf die fiesen Rieseninsekten und die nicht weniger scheußlichen geflügelten Raupen und war nahe daran, dieser Folter mit einem Lichterloh ein Ende zu bereiten.
    »Nun ist es also so weit!«, sagte Ocious mit öliger Stimme und beendete mit einem Fingerschnalzen schlagartig das Hin und Her seiner fliegenden Eskorte.
    Der überaus vitale Hundertjährige ging ein paar Schritte auf Oksa zu. Pavel Pollock wollte schon eingreifen, doch Abakum hielt ihn mit einer beschwichtigenden Geste zurück.
    »Wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet«, fuhr Ocious mit triumphierender Stimme fort. »Und doch, seit du bei uns bist, mein liebes Kind, ist es fast so, als ob all die Jahre des Wartens nun keine Bedeutung mehr hätten. Die Kammer des Umhangs ist erschienen, du wirst sie betreten und dich in dein Amt einsetzen lassen, weil du auserwählt worden bist, unsere Neue Huldvolle zu werden, die es mir erlauben wird … uns erlauben wird, unsere Mission zum Erfolg zu führen.«
    »Ihre Mission? Sie sind wohl komplett größenwahnsinnig!«, empörte sich Oksa und ballte die Fäuste. »Und außerdem sollten Sie wissen, dass ich nicht Ihretwegen hier bin, sondern um die beiden Welten zu retten! Sie – Sie sind hier zu überhaupt nichts nütze. Zu rein gar nichts.«
    Der Treubrüchige lächelte mild.
    »Armes Kind«, sagte er. »Was bist du doch naiv.«
    »Sie halten sich für den Herrscher von Edefia«, fuhr Oksa zornig fort, »dabei sind Sie nichts weiter als ein durchgeknallter Tattergreis. Ihre Zeit ist abgelaufen. Sie waren eine Plage für das Volk dieses großartigen Landes, Sie sind schuld, dass es jetzt zugrunde geht, und doch glauben Sie immer noch, der Mächtigste von allen zu sein. Ich finde das so … jämmerlich! Können Sie nicht ein Mal ein wenig Reue empfinden? Sie haben immer noch die Gelegenheit, allen zu beweisen, dass Sie ein Mensch und kein Monster sind.«
    »Oksa!«, flüsterte Pavel flehentlich. »Sei still.«
    Doch Oksa war außer sich. Sie zerrte so fest am Ärmel ihres blauen Langarmshirts, dass es zu zerreißen drohte.
    »Mir ist dein unverschämtes Urteil vollkommen egal«, entgegnete Ocious verächtlich. »Immerhin habe ich nach wie vor die Macht über Leben und Tod deiner Freunde.«
    Er gab ein Zeichen, woraufhin die in Lederrüstungen gekleideten Wachen, die entlang der Mauern des großen runden Saals postiert waren, näher an die Rette-sich-wer-kann heranrückten. Mit einer Schnelligkeit, die alle überraschte, sprang er selbst zu Pavel und legte ihm mit eisernem Griff den Arm um den Hals. Dann richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und fixierte Oksa mit finsterem Blick.
    »Also, du wirst jetzt diese Kammer betreten, das Gleichgewicht wiederherstellen und wieder herauskommen, um mir das Tor nach

Weitere Kostenlose Bücher