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Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Pflaumengeschmack auf der Zunge, der leicht von einem
Hauch Veilchen überlagert wird. Der Genuss legt sich
unmerklich über die Tatsache, dass der Mörder gerade erst
gestanden hat, verdrängt die realen Gefühle, spaltet sich
ab zu einer Szene, die er nur von außen beobachten kann. Der
zweite Schluck Wein steigt Swensen noch mehr in den Kopf und macht
deutlich, wie wenig er den Alkohol gewohnt ist. Der kleine Schwips
führt seine Gedanken zurück in den Verhörraum. Er
sitzt dem Täter gegenüber und findet es befremdlich, dass
ihm jegliche Emotionen zu fehlen scheinen.
    »Es war Ihr
größter Fehler, die Tatwaffe zu behalten, Herr
Šemik«, hört er sich selbst sagen. »Sie
wissen doch bestimmt, wie leicht es ist, Sie damit zu
überführen?«
    »Sie denken viel
zu gewöhnlich, lieber Mann«, antwortet Wiktor
Šemik mit strahlenden Augen. »Wir reden hier über
keine gewöhnliche Waffe, das ist eine CZ 75, CAL 9,
Brünner. Was glauben Sie denn wohl, wo ich die
herhabe?«
    »Sie werden es
mir sagen, nehme ich an!«
    »Dann passen Sie
genau auf! Die Geschichte der Waffe beginnt am Abend des 21. August
1968. Es war schon Ausgangssperre. Am Prager Bahnhof lagen
unzählige russische Soldaten und schliefen. Ihre
bewegungslosen Leiber waren in sackartiges Leinen gehüllt. Ich
sehe es genauso vor mir wie damals. Mein Freund und ich streiften
durch die Stadt, unter Lebensgefahr versteht sich, und ich sagte
voller Übermut zu ihm, ich klau jetzt einem der Schlafenden
die Pistole. Er glaubte mir das natürlich nicht. Da bin ich
los, habe mich von der Seite an den schlafenden Haufen
angeschlichen und vorsichtig einem dieser elenden Gestalten eine
Pistole aus dem Halfter gezogen, ohne dass der im Geringsten etwas
gemerkt hat. Ich hatte damals schon begnadete Hände. Ja, so
verlief mein ganz persönlicher Prager Frühling. Die Waffe
hat mich gelehrt, dass meine Hände nicht einen Hauch zittern.
Glauben Sie mir, ich habe damit jedesmal getroffen, egal worauf ich
gezielt habe. Eine Waffe mit so vielen Erinnerungen wirft man unter
keinen Umständen weg.«
    »Aber man
ermordet damit unschuldige Frauen!«, brüllt Stephan
Mielke dazwischen.
    »Was wissen Sie
denn von Unschuld, junger Mann? Ich weiß, wenn ein Mensch
unschuldig ist! Eine Ihrer unschuldigen Frauen ist aus heiterem
Himmel in meinem Hotel aufgetaucht und hat behauptet, dass ich
meinen Erfolg bei ihr gestohlen habe. Sie wollte mich auffliegen
lassen, wenn ich die Wahrheit nicht bis zum Ende des Festivals
öffentlich eingestehen würde. Damit hat sie damals schon
immer genervt, mit der Wahrheit. Aber die Wahrheit hat mit ihren
kleinen Geschichtchen überhaupt nichts zu tun
gehabt.«
    »Damals?«,
fragt Swensen ruhig.
    »Ja, damals in
München, als ich noch Sik war, der kleine
Straßenschauspieler mit den großen Plänen, da
waren wir kurz zusammen. Wenn ich ihre Geschichten nicht
abgeschrieben und richtig bearbeitet hätte, wären die mit
Sicherheit in der Versenkung verschwunden. Ich habe aus ihren
Geschichtchen erst wirkliche Geschichten gemacht. Das war in der
Zeit, als ich meinen Namen geändert habe. Den alten Namen
Lucas Sežek legte ich ab und verwandelte mich in den
großen Wiktor Šemik. Ich habe ihre Geschichten auf der
Puppenbühne inszeniert, und erst dort fingen ihre kleinen
Geschichtchen wirklich an zu leben, erst dort sind sie zur Wahrheit
geworden!«
    »Und deshalb
mussten drei Frauen sterben«, unterbricht Swensen. »Das
ist auch eine Wahrheit!«
    »Ich habe nur so
gehandelt, wie es die Wahrheit vorgegeben hat!
Außerordentliche Menschen scheren sich nicht um etwas so
Profanes wie Moral, sie tun, was getan werden muss. Diese Frau war
auf dem Festival, solange ich sie beobachtet habe, nie allein
unterwegs. Es gab also nur diese eine Entscheidung. Ich hatte keine
Zeit, darauf zu warten, dass ich sie irgendwann einmal allein
antreffe. Diese Frau hat mich schließlich auf
heimtückische Weise erpresst. Und rein kriminalistisch
gesehen, kamen mir die anderen Frauen sogar gerade recht. So konnte
keiner ahnen, welche ich wirklich treffen wollte.«
    »Es ist
unvorstellbar, mit welch teuflischer Logik Sie Ihren Entschluss in
die Tat umgesetzt haben, Herr Šemik«, stellt Swensen
betroffen fest. »Fühlen Sie denn überhaupt keine
Reue, völlig wildfremden Menschen das Leben genommen zu haben?
Menschen, die mit Ihrem Motiv nicht das Geringste zu tun
hatten?«
    »Reue?«,
fragt der Puppenspieler und schaut entgeistert. »Ich versteh
nicht, worauf Sie hinauswollen,

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