Post Mortem
ob ihre Daten akkurat eingetragen waren. Ich nehme an, das gab ihr das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Mommy hat immer großen Wert auf Kontrolle gelegt. Hat sie Ihnen je von ihrer Kindheit erzählt?«
»Ein bisschen.«
»So viel, dass Sie wissen, was mit ihr in New Mexico passiert ist?« Ich nickte.
Kleine Hände ballten sich zu Fäusten. »Es ist ein Wunder, dass sie sich so toll gemacht hat.«
»Sie war ein großartiger Mensch.«
»Sie war ein unglaublicher Mensch.« Sie musterte eine Radierung an der Wand links von ihr. »In dieser ersten Woche im Krankenhaus war sie eine absolute Despotin. Dann wurde sie zu krank zum Kämpfen, schlief die meiste Zeit oder las Fan-Käseblättchen - so nannte sie Klatschmagazine. Da wusste ich, dass es wirklich schlecht um sie stand.« Sie biss sich auf die Lippen. »Us, People, Star, OK! Blätter, über die sie sich immer lustig gemacht hat, wenn ich sie als Wochenendlektüre mit nach Hause brachte. Ich bin nicht verrückt nach Filmstars, aber ich arbeite fünfzehn Stunden pro Woche als studentische Hilfskraft in der Unibibliothek neben meinem Vorbereitungsstudium, und warum soll ich mir da nicht ein kleines Vergnügen erlauben? Mommy hat mich schrecklich gern aufgezogen. Ihre Spaßlektüre bestand aus Investitionsratgebern, den Wirtschaftsseiten und Krankenschwestermagazinen. Im Grunde ihres Herzens war sie eine Intellektuelle. Die Leute neigten dazu, sie zu unterschätzen.«
»Krasse Fehleinschätzung«, sagte ich.
Sie streichelte Blanche. »Das stimmt, aber das Bild des Mädchens vom Lande, das sie nach außen hin bot, konnte auch negative Folgen für sie haben. Sie hat mir erzählt, dass ihre Chefs ihr nie die Beachtung geschenkt haben, die sie verdiente, bis sie Dr. Silverman kennen gelernt hat. Er wusste zu würdigen, was sie leistete, und sorgte dafür, dass sie entsprechend befördert wurde… Wie auch immer, ich glaube, Sie verstehen, dass ich Trauerarbeit leiste. Ich unterdrücke nichts. Ganz im Gegenteil. Ich zwinge mich dazu, mich an alles zu erinnern, was ich kann. Wiewenn man irgendwo einen Splitter stecken hat und ihn regelrecht ausgräbt.« Ich nickte.
»Manchmal drehe ich durch«, sagte sie, »heule wie ein Schlosshund und bin schließlich so müde, dass ich gar nichts mehr spüre. Die Nächte sind am schlimmsten. Ich träume ununterbrochen. Das ist normal, stimmt's?«
»Träume, in denen sie auftaucht?«
»Es ist mehr als das. Sie ist regelrecht da. Redet mit mir. Ich sehe, wie sich ihre Lippen bewegen, und höre Töne, aber ich kann die Worte nicht verstehen, es ist frustrierend… Manchmal kann ich sie riechen - wie sie nachts immer roch, diese Mischung aus Zahnpasta und Talkumpuder, der Geruch ist so lebhaft. Wenn ich dann aufwache, und sie ist nicht da, ist meine Enttäuschung überwältigend. Aber ich weiß, dass das typisch ist. Ich hab mehrere Bücher zum Thema Trauer gelesen.«
Sie nannte ein halbes Dutzend Titel. Ich kannte vier. Zwei waren gut.
»Ich hab sie im Internet gefunden und mich für die entschieden, die das beste Feedback hatten.« Sie zuckte zusammen. »Ich muss einfach damit fertigwerden. Wobei ich Hilfe brauche - und verzeihen Sie mir bitte, aber ich weiß nicht mal, ob Sie dafür der richtige Ansprechpartner sind…« Ihre Wangen färbten sich rot. »Ich dachte daran, mit Dr. Silverman zu reden… aber ich hab mich an Sie gewandt, weil Mommy immer so viel von Ihnen hielt. Ich natürlich auch. Sie haben mir geholfen…« Sie presste die Lippen zusammen. Klopfte mit einem Daumennagel gegen den anderen. Lächelte mich an. »Sie dürfen nicht wütend werden, stimmt's?«
»Weswegen sollte ich wütend werden?«
»Weil ich Ihnen nicht von Anfang an reinen Wein eingeschenkt habe - okay, bringen wir es hinter uns. Der wahre Grund, weshalb ich hier bin, ist der, dass Sie mit diesem Detective zusammenarbeiten - Dr. Silvermans Lebensgefährten. Ich wäre direkt zu Dr. Silverman gegangen, aber ich kenne ihn eigentlich nicht so gut, und Sie waren mein Psychotherapeut, und deshalb kann ich Ihnen alles erzählen.« Tiefer Atemzug. »Stimmt's?«
»Sie möchten, dass ich Sie mit Detective Sturgis zusammenbringe?«
»Falls Sie glauben, dass er mir helfen kann.«
»Womit?«
»Mit einer Ermittlung«, sagte sie. »Indem er herausfindet, was genau geschehen ist.«
»Die schreckliche Sache‹, die Ihre Mutter gebeichtet hat.«
»Es war keine Beichte, eher so was wie… da steckte Entschlossenheit dahinter, Dr. Delaware, große
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