PR 2687 – Alles gerettet auf ewig
Stiefel verliehen ihren Schritten, die sie bis zum Tisch zu gehen hatte, die Lautlosigkeit eines stumm gestellten Hologramms.
Natürlich war der Tisch aus Kirschbaumholz viel zu groß für nur zwei Personen.
Aber dies ist ja auch kein Rendezvous.
Bull war höflich aufgestanden. Mit seinen 1,68 Meter Körpergröße war er kleiner als sie, aber auch kompakter. Sie nickte ihm leichthin zu, als wäre sie die Gastgeberin.
War sie es nicht? Anicee Ybarri, Sprecherin des Umbrischen Rates und Hausherrin der Stahlorchidee. Was für eine Karriere! Oder?
Die Machtverhältnisse im Solsystem waren alles andere als klar. Es fiel dem Residenten immer noch schwer, in der Tochter der Ersten Terranerin die Sprecherin eines Rates zu sehen, der, allem Anschein nach, inzwischen über eine Hausmacht von 40.000 mittleren und schweren Kriegsschiffen verfügte – Kriegsschiffen unbekannter Bauart und weitgehend unbekannter Technologie.
Einer Flotte, der es für etliche Wochen gelungen war, sich auf Neptun verborgen zu halten – eine Demütigung terranischen Sicherheitsdenkens. Die Sayporaner schalteten und walteten im Solsystem nach Gutsherrenart. Da war es fast ein Trost, dass die Invasoren – um nichts anderes handelte es sich letzten Endes – ihre Triumphe nur mithilfe terranischer Helfershelfer hatten feiern können, wie der Fall Fydor Riordan gezeigt hatte.
Die fremden Schiffe, die aus den Tiefen Neptuns aufgestiegen waren, ähnelten ins Groteske vergrößerten Zapfen. Für einen Moment glitt die Vision eines gigantischen Baumes durch seinen Geist, eines hunderttausend Meilen hohen Maschinenbaumes, an dem die Schiffe der Fremden wie Knospen entstanden, wuchsen, endlich abfielen und Fahrt aufnahmen.
Fahrt aufnahmen Richtung Sol, um sich dort dem Umbrischen Rat zu unterstellen.
Falls der Rat wirklich Herr der Schiffe war, und wenn diese Herrschaft nicht bloßes Blendwerk des Sayporaners Paitäcc war, der von Bord der KOKOLLUN die Flotte der Zapfenraumer allem Anschein nach befehligte.
Anicee stand vor ihm, gelassen und regungslos. Sie studiert mich, dachte Bull. »Guten Tag, Sprecherin«, sagte er.
Anicee nickte und lächelte Bull mit einem Anflug von Spott zu. »So förmlich, Resident?«
»So förmlich«, sagte Bull und setzte sich wieder. »Schön immerhin, dass du endlich Zeit für mich hast.«
»Man hat gearbeitet.« Anicee drehte den Stuhl so, dass sie rittlings darauf Platz nehmen konnte. Sie schaute ihn neugierig an und lächelte breit.
»Was erheitert dich?«, fragte Bull.
»Nichts«, sagte sie und fuhr sich kurz durch das Haar. »Es ist nichts.«
Äußerlich wirkte die junge Frau unverändert. Henrike Ybarri hatte ihm ein Hologramm ihrer Tochter gezeigt, das kein Jahr alt war: Anicee mit einem daumennagelgroßen KomSpot auf der linken Wange, wie ein altertümlicher Schönheitsflecken effektvoll zwischen Ohr und Kinn platziert. Das Holo war detailliert genug gewesen, um die Person zu zeigen, die auf dem KomSpot zu sehen war: Auris, die damalige Lebensgefährtin von Anicee. Die Folie zeigte, wie Auris aus einem postkartenblauen Gewässer stakste, angetan mit einer von Tropfen glitzernden Badetunika, wie sie lachte und winkte und auf den Betrachter zulief, ohne jemals anzukommen.
Auris war tot. Sie war in Terrania gestorben, als der Nirvana-Effekt ein Kaufhaus zum Einsturz gebracht hatte.
Und Anicee hatte, ihm unbegreiflicherweise, die Seiten gewechselt und war zu den Verursachern der Katastrophe übergelaufen. Aber er hatte sie nicht hergebeten, um sie dafür zur Rede zu stellen.
Er sagte: »Ich möchte wissen, was der Rat an Bord der KOKOLLUN besprochen hat. Worüber ihr verhandelt habt. Mit welchem Ergebnis. Mit welchen Konsequenzen für uns. Als Resident habe ich ein Recht darauf.«
Bull machte sich auf ein Psychospiel gefasst. Anicee hatte wie alle Mitglieder des Umbrischen Rates etwas Unkalkulierbares an sich. Eine Art Firnis lag über ihren Gesichtern, über ihren Worten, alles schien unscharf und gleichnishaft.
Sie überraschte ihn.
»Ich habe dort mit Paitäcc verhandelt«, sagte sie ohne Umschweife. Ihr Blick suchte Bulls Augen.
»Worüber?«
Sie lächelte.
»Drei Stunden, Anicee. Ihr habt in diesen drei Stunden nicht nur beisammengesessen und einem Phenubenkonzert gelauscht, oder?«
Sie lachte ein völlig unbeschwertes, spitzbübisches Mädchenlachen. »Aber ja doch!« Sie spitzte kurz die Lippen, als wollte sie ihm etwas vorpfeifen.
»Anicee.« Bull beugte sich etwas über den Tisch. »Wir
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