Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition)
ich schon vor langer Zeit gehen sollen. Aber als er mich das erste Mal geschlagen hat, war es eine Ausnahme, ein einmaliger Ausrutscher. Er war entsetzt, er weinte und bettelte um Verzeihung. Das zweite Mal war auch eine Ausnahme. Genau wie das dritte. Und das vierte. Irgendwann war die Serie isolierter Einzelfälle keine Serie isolierter Einzelfälle mehr, sondern wurde zum normalen Alltag. Aber ich wollte das nicht sehen.
Ich schämte mich zu sehr. Nicht nur wegen der Demütigung, von dem Mann, den ich liebte, verprügelt und rumgeschubst zu werden, sondern weil ich einen solch horrenden Fehler gemacht hatte. Ich bin eine intelligente Frau, ich hätte es besser wissen sollen. Und als ich merkte, wohin der Hase lief, hätte ich so schnell wie möglich abhauen müssen.
Kompliziert wurde die Sache dadurch, dass ich ihn liebte. Oder ihn einmal geliebt hatte. Und so hohl das vielleicht auch klingt, ich hatte viel Zeit und Mühe darin investiert, dass er Der Eine war. Zu sehen, dass das nicht stimmte, war schwer zu verdauen. Vor allem, weil wir ja auch unsere guten Tage hatten. Selbst noch in letzter Zeit. Es gab Momente, da war er wieder der Mensch, den ich kennen
gelernt hatte. Aber ich war nicht mehr dieselbe. Mein Magen war vor lauter Angst und Nervosität zur Größe einer Walnuss geschrumpft und verhärtet, denn ich wartete ständig darauf, was es diesmal sein würde, was seine Laune umschlagen ließ. Ein Telemarketer, der anrief, während Chris gerade sein Abendessen verzehrte? Ein fehlender Hemdknopf? Ein Anruf von Fiona?
Je mehr er mich schlug, desto unsicherer wurde ich. Manchmal hatte er mich fast davon überzeugt, dass ich es verdiente.
Nachts lag ich wach, meine Gedanken rasten, und ich überlegte, ob es nicht doch einen Ausweg aus dieser Falle gab. Vielleicht würde er irgendwann damit aufhören? Aber sogar ich erkannte, dass es immer schlimmer wurde, denn er konnte sich immer mehr erlauben. Sollte ich zur Polizei gehen? Aber dort vermochte man mir nur zu helfen, wenn ich ihn verklagte. Und das hätte ich nicht fertig gebracht. Denn damit wäre mein entsetzlicher Fehler, meine grässliche Schande öffentlich und nicht mehr zu verbergen gewesen.
Natürlich konnte ich ihn verlassen. Ich hatte es versucht, oder etwa nicht? Und sehen Sie sich an, was es mir gebracht hat. Er ist ausgerastet, hat mich die Treppe hinuntergestoßen und mir den Schädel gebrochen.
Hier unten in der Stille scheint alles ruhig und logisch. Manchmal braucht man nur eine Auszeit, um die Dinge wieder klar zu sehen. Es ist ein bisschen wie in einem Retreat. (Nicht dass ich je in einem gewesen wäre, aber ich fand immer, das hört sich gut an. Nur irgendwie nicht gut genug, um ein Wochenende ohne Fernsehen und doppellagiges Klopapier dafür zu opfern.)
Stellen Sie sich vor: Wenn ich sterbe, dann ist er ein Mörder. Dann hat er das getan, womit er mir so oft gedroht hat, er hat mich umgebracht. Obwohl ich seine Drohungen nie ernst genommen
habe. Eigentlich denke ich, er hat es selbst nicht geglaubt. Vielleicht hat er jetzt einen Schreck bekommen, weil er mich diesmal ernsthaft verletzt hat. Auf jeden Fall ist er ein Mörder, wenn ich sterbe. Aber ich bin die einzige Zeugin. Wenn ich sterbe, kommt er ungeschoren davon.
Aber wenn ich nicht sterbe …? Na ja, das ist doch klar: Dann verlasse ich ihn. Dann verklage ich ihn. Warum denn nicht? Man kann doch nicht ungestraft Leute verprügeln und die Treppe runterschmeißen! Das geht einfach nicht.
Aber vielleicht ist es auch zu spät, denn hier unten verändert sich irgendetwas … Die Dunkelheit füllt sich nach und nach mit weißem Licht. Nicht mit normalem weißen Licht, sondern einem superintensiven weißen Licht, wie eine Hintergrundbeleuchtung mit schlau versteckten Halogenlampen in einem dieser Boutiquehotels. Und das Licht nimmt Gestalt an – es bildet einen runden Tunnel, mit einem pulsierenden Kreis aus strahlend weißem Licht am Ende. Durchströmt von Wohlbehagen, von ruhiger Heiterkeit zieht es mich dorthin, ich möchte darauf zugehen. Es ist genau wie in den Berichten von diesen Nahtodaposteln im National Enquirer .
Ich sterbe! Abgesehen von einer Spur Bedauern, dass ich es Chris nicht heimzahlen kann, bin ich hauptsächlich voller Vorfreude.
Langsam gehe ich weiter auf das weiße Licht zu, das mich mit dem leisen Pulsieren in seinen Bann zieht. Und dann … aber das bilde ich mir bestimmt nur ein … dann verblasst das Licht ein wenig … werden die Tunnelwände
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