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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Trinken muß man innerlich veranlagt sein, es muß eine seelische und psychische Bereitschaft bestehen. Die wenigsten werden zum Trinker erzogen, auch die früheren Armutssäufer und die heutigen Wohlstandstrinker sind keine bloßen Opfer ihrer Zeit, sondern Opfer ihrer bisher schlafenden Krankheit, die einmal ausbricht, rätselhaft und uneindämmbar wie die Schizophrenie oder eine Psychose.
    War Linden ein Trinker?
    Brosius schüttelte den Kopf. Nein, gab er sich die Antwort. Er steht wieder dort hinter den dicken schalldichten Türen und operiert wie früher. Verzweiflungstrunk ist heilbar – er ist nur eine Flucht vor der Wirklichkeit in eine Scheinwelt. Eine Verirrung in die Illusion. Ein Betäuben der eigenen Schwäche. Auch Peter Kaul war kein Trinker. Auch er war immer nur auf der Flucht vor einem scheinbar Unabwendbaren.
    Und Pfarrer Merckel?
    Brosius trank noch ein Glas. Er genoß es in diesen langen Minuten des Wartens.
    Pfarrer Merckel ist ein Grenzfall, dachte er. Er ist der tragische Beweis, daß es kein Zurück mehr gibt. Er hat sich selbst erkannt und diese Erkenntnis in Alkohol konserviert. Er zelebrierte die Tragik der Schwäche und sah selbst aus wie ein Bär aus der Urzeit.
    Nach einer Stunde öffneten sich die Türen zum OP. Auf einem fahrbaren Bett wurde eine Gestalt herausgerollt. Sie war mit weißen Decken zugedeckt, über dem Kopf lag ein weißes Laken. Brosius sprang auf.
    »Er … er ist tot …«, sagte Brosius leise.
    »Nein, er lebt!« antwortete die Schwester, die neben dem Bett herging.
    »Das ist doch unmöglich!« rief Brosius.
    »Aber es ist so. Ich kann nichts dafür …« Es war eine giftige Antwort, aber Brosius überhörte sie. Er stürzte auf Dr. Linden zu, der allein aus dem Waschraum trat.
    »Er lebt wirklich?« rief Brosius. »Linden, wie haben Sie das gemacht?«
    »Ich weiß es nicht.« Dr. Linden sah an Brosius vorbei auf das zugedeckte Bett, das in dem Lastenaufzug verschwand und wegglitt zur Wachstation der Frischoperiertenabteilung. »Ich weiß es wirklich nicht. Meine Hände haben gearbeitet, weiter nichts.«
    »Aber Sie haben ihn doch nicht retten können! Das gibt's ja gar nicht.«
    »Nein. Pfarrer Merckel wird noch einige Wochen leben, dann bricht die Leber sowieso zusammen.«
    »Linden.« Prof. Brosius faßte den erschöpften Kollegen an den Kittelaufschlägen. »Sie wollten doch Merckel das Sterben erleichtern … abkürzen … durch die Narkose …«
    »Ja.« Linden nickte. »Aber dann konnte ich es nicht. Nach dem ersten Schnitt, nach dem Erreichen der perforierten Varizen … ich habe immer gekämpft, und es war mir unmöglich, Merckel kampflos untergehen zu lassen! Ich habe mein Versprechen nicht eingehalten … ich bin doch Arzt und kein Saufkumpan!«
    Prof. Brosius umarmte Linden wortlos, riß sich dann los und lief aus dem Vorzimmer. Er schämte sich. Und er flüchtete vor der Wahrheit, einem Größeren gegenübergestanden zu haben.
    Unten in der Eingangshalle wartete mit verzweifeltem Gesicht ein junger Krankenpfleger aus der LHA. Er lief hin und her und als er seinen Chef die Treppe herunterkommen sah, vergaß er allen Respekt und alle Distanz und rannte auf ihn zu.
    »Herr Professor!« rief er. »Kommen Sie sofort mit mir. Seit einer Stunde versuche ich Sie zu erreichen, aber alle haben sich hier zugemauert. Es durfte weder in den OP telefoniert werden, noch wollte man einen Boten hineinschicken.«
    »Ja, um Himmels willen, was ist denn los?« Brosius sah sich um. Sie waren allein. »Petersen, was soll diese Aufregung?«
    »In Block drei ist ein Aufstand ausgebrochen. Von Zimmer siebzig ausgehend. Sie haben sich verbarrikadiert, mit Betten und Spinden, haben Pfleger Heimann als Geisel im Zimmer und verlangen für ihn zehn Flaschen Schnaps, sonst … sonst wollen sie ihn entmannen …«
    »Polizei anrufen!« Brosius war hochrot geworden. Ein Aufstand in der Trinkerabteilung der Landesheilanstalt. Seit vierzig Jahren hatte es so etwas nicht gegeben. Der letzte offene Widerstand war eine Schlägerei von vier Trinkern mit einem Arzt gewesen. Vor vierzig Jahren.
    »Polizei?« Pfleger Petersen zögerte. »Sie haben Heimann als Geisel, Herr Professor. Und sie machen ihre Drohung wahr. Sie kennen doch diese Bestien!«
    »Ich kann ihnen doch keinen Schnaps geben!« schrie Brosius.
    »Deshalb müssen Sie sofort kommen, Herr Professor.«
    »Und was macht Kellermann?«
    »Judo-Fritze sitzt vor der verrammelten Tür und verhandelt. Er hat ihnen fünf Flaschen

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