Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Titel: Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
Vom Netzwerk:
man«, setzte der Schuhmacher hinzu, »daß hier schon allens duster is. Hier machen wir um Klock sieben Feierabend. Der Rest des Abendes gehört dem Herrn. Wer da noch arbeiten tut, da is doch kein Segen auf.«
    »Das mag ja denn einerseits – ganz richtig sein«, stotterte Unrat.
    Der Schuhmacher war einen Kopf höher. Er hatte knochige Schultern und unter seinem Schutzfell einen unvermittelten Spitzbauch. Ergrauende Löckchen, ein wenig ölig, machten den Bogen um sein langes, bleifarbenes Gesicht, dessen Wangen in einen keilförmigen Bart hineinhingen, und das langsam lächelte. Rindfleisch schob immerfort über dem Magen die Finger ineinander, löste sie und steckte sie wieder zusammen.
    »Aber das ist es andererseits freilich nicht, weshalb ich komme«, erklärte Unrat.
    »Herr Professor, Nabend, Herr Professor«, sagte die Frau von der Schwelle her und knickste. »Was stehst du da in ’n Schummern mit Herrn Professor, Johannes, laß ihm doch rein. Herr Professor, wenn Sie es man nich übelnehmen, daß wir uns’ Mettwuß essen.«
    »Das liegt mir ganz und gar fern, gute Frau.«
    Unrat entschloß sich zu einem Opfer.
    »Meister Rindfleisch, ich unterbreche ungern Ihr Mahl, aber ich ging grade vorbei, und da kam mir der Gedanke, daß Sie mir – aufgemerkt nun also! – ein Paar Stiefel anmessen sollen.«
    »Zu dienen, Herr Professor«, und die Frau knickste, »zu dienen.«
    Rindfleisch bedachte sich; dann verlangte er die Lampe.
    »Denn sitten wi jä all in ’n Dustern bi ’n Eeten«, bemerkte die Frau heiter. »Nöh, Herr Professor, kommen Sie man rein, ich mach Licht für Ihnen in der blauen Stube.«
    Sie ging voran in einen Raum, wo es kalt war, und zündete Unrat zu Ehren die beiden unversehrten rosa Kerzen an, die sich über ihren krausen Manschetten und flankiert von zwei großen Muscheln im Trumeau spiegelten. An den kraßblauen Wänden verweilten in sonntäglicher Haltung Großvatermöbel aus Mahagoni. Auf der gehäkelten Decke des Sofatisches breitete ein segnender Christus seine Biskuitarme aus.
    Unrat wartete, bis Frau Rindfleisch hinaus war. Als er den Schuhmacher hinter geschlossener Tür und recht in seiner Gewalt hatte, setzte er ein.
    »Vorwärts denn also, Meister, jetzt heißt es zeigen, daß Sie, der Sie einige kleinere Arbeiten zur Zufriedenheit des Leh – zu meiner Zufriedenheit bewerkstelligten, auch ein recht braves Paar Stiefel schaffen können.«
    »O ja, Herr Professor, o-o-oh ja«, erwiderte Rindfleisch demütig und beflissen wie ein Primus.
    »Mag ich immerhin schon im Besitz zweier Paare sein, so kann bei der jetzt vorwaltenden Nässe doch niemand sich genugtun an guter, warmer Fußbekleidung.«
    Rindfleisch kniete und maß. Er hatte den Bleistift zwischen den Zähnen und grunzte nur.
    »Andererseits ist dies die Jahreszeit, die gewöhnlich etwas Neues in die Stadt bringt, ein wenig – sicherlich doch – geistige Erholung. Die ist es denn wohl auch, die dem Menschen not tut.«
    Rindfleisch sah auf.
    »Sagen Sie das man noch mal, Herr Professor. Jajajah, die tuhet dem Menschen not. Und das weiß unsere Brüdergemeihende auch.«
    »Soso«, machte Unrat. »Aber ich denke an den Besuch ausgezeichneter, unter den Menschen hervorragender Persönlichkeiten.«
    »Da denk ich auch an, Herr Professor, und da denkt auch die Gemeihende an und versammelet uns Brüder am morgigen Abende zum Gebet mit einem berühmten Missionar. Ja, o jah.«
    Unrat fand es schwierig, zu Künstlerin Fröhlich zu gelangen. Er suchte eine Weile, und als er keinen Umweg mehr fand, ging er gradaus.
    »Auch in der Gesellschaft für Gemeinsinn zeigt sich uns nächstens – immer mal wieder – eine Berühmtheit. Eine Künstlerin – Sie werden ja, so gut wie jedermann, von ihr gehört haben, Meister.«
    Rindfleisch schwieg, und Unrat wartete mit Leidenschaft. Er war überzeugt, was er brauchte, steckte in dem Menschen zu seinen Füßen, und es liege nur an ihm, es herauszuziehen. Die Künstlerin Fröhlich hatte in der Zeitung gestanden, war im Lehrerzimmer besprochen worden, hing im Fenster bei Kellner. Die ganze Stadt wußte Bescheid über sie, außer Unrat. Jeder andere hatte mehr Weltläufigkeit und Personenkenntnis als Unrat: er lebte, ohne daß er’s selber wußte, tief in dieser Vorstellung; und er wandte sich mit vollem Vertrauen an einen herrnhutischen Schuster um Auskunft über eine Tänzerin.
    »Sie tanzt, Meister. In der Gesellschaft für Gemeinsinn tanzt sie. Ei, da werden nun die Leute

Weitere Kostenlose Bücher