Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
Lion Feuchtwanger, Thomas Mann und Georg Lukács über die Funktion des historischen Romans im Exil. Das »wahre Gleichnis« vom »guten König« ist aber nicht nur Quintessenz von M.s dichterischem Schaffen – »Der historische Roman gehört in gewissen Fällen zum letzten, das einer machen lernt«, schreibt er im kommentierenden Aufsatz »Gestaltung und Lehre« (1939) – sondern auch Zukunftsperspektive in der »Zeit der Schrecken« und Erinnerung an M.s geistige Verwurzelung in Frankreich. Bereits 1927 hatte er bei einem Besuch von Henris Schloss in Pau bemerkt: »Wunderbare Ermutigung, leibhaftig zu sehen; der menschliche Reichtum kann machtvoll sein. Ein Mächtiger kann auch lieben, wie dieser König seine Menschen.«
Weit hinter die Exiljahre zurück verweist Henri in seiner Sinnlichkeit wie in seinem Machtstreben auf die Anfänge M.s: auf Künstler- und Tyrannengestalten, auf einen das Philistertum der Heimatstadt Lübeck verachtenden Ästhetizismus. So wollte er weder die väterliche Getreidefirma übernehmen noch die in Dresden begonnene Buchhändlerlehre fortsetzen. Tod des Vaters und Umzug der Familie nach München (1891) ermöglichten Heinrich wie Thomas Mann eine von Zügen des Fin de siècle geprägte Junggesellenexistenz »im Besitz einer bescheidenen Rente und einer Fülle von melancholischem Humor, Beobachtungsgabe, Gefühl und Phantasie« (Klaus Mann). Eines der bezeichnendsten Produkte von M.s ständig zwischen Italien und der Münchner Bohème schwankendem Reiseleben ist die Trilogie
Die Göttinnen
(1903), die er seinem Verleger folgendermaßen ankündigt: »Es sind die Abenteuer einer großen Dame aus Dalmatien. Im ersten Teil glüht sie vor Freiheitssehnen, im zweiten vor Kunstempfinden, im dritten vor Brunst. […] Wenn alles gelingt, wird der erste Teil exotisch bunt, der zweite kunsttrunken, der dritte obszön und bitter.« Gleichzeitig verschärfen sich auch M.s auf Deutschland gerichtete kritische Impulse: Der 1900 veröffentlichte satirische Roman
Im Schlaraffenland
setzt sich mit seiner aggressiven Schilderung des modernen Kapitalismus in Berlin in schroffen Gegensatz zu Heimatkunst und Gründerzeit. Einen Gegenpol zum wilhelminischen Macht- und Obrigkeitsstaat bildet die nicht zufällig in Italien angesiedelte Gesellschaftsutopie
Die kleine Stadt
(1910). Die Satire weitet sich zur politischen Kampfansage aus, als M. 1915 in seinem Essay über Zola Chauvinismus und Militarismus anprangert und damit Thomas Manns Verdikt des »Zivilisationsliteraten« auf sich zieht. »Das politisch-weltanschauliche Zerwürfnis erreichte bald einen solchen Grad von emotioneller Bitterkeit, daß jeder persönliche Kontakt unmöglich wurde. Die beiden Brüder sahen einander nicht während des ganzen Krieges« (Klaus Mann).
Kritik an der Scheinmoral des Kleinbürgertums übt M. im
Professor Unrat
(1905), mit dessen Verfilmung unter dem Titel DER BLAUE ENGEL (1930) er international bekannt wird. Der Repräsentant des wilhelminischen Bürgertums, der tyrannische und machtbesessene Professor Unrat, ›entgleist‹ durch seine Liebe zur »Künstlerin Fröhlich« und muss dadurch seinen gesellschaftlichen Untergang erleben.
Den sieben Romanen der Vorkriegszeit folgt in den »goldenen zwanziger Jahren« eine Phase der Selbstbesinnung, in der M. zunächst publizistisch, dann auch wieder literarisch auf den immer offener zu Tage tretenden Zusammenhang von Großkapital und Politik reagiert: Diederich Heßling, der Protagonist des
Untertan
(1914), avanciert in dem Roman
Die Armen
(1917) zum Großkapitalisten, der in der »Villa Höhe« residiert, eine klare Anspielung auf Krupps »Villa Hügel«. Zu grotesken, ja spröden Formen wie der Parabel
Kobes
(1923) kehrt M. auch in der zweiten Phase seiner Emigration wieder zurück: dem im
Henri IV
. verkörperten persönlichen und politischen Aufschwung bis 1938 folgte mit dem deutschen Einmarsch nach Frankreich 1940 die Flucht über die Pyrenäen in die USA , die Beschäftigung als scriptwriter bei der Filmgesellschaft Metro-Goldwyn-Mayer, deren Ertrag gering war und deren Produkte nie verwendet wurden. Nelly Kröger, M.s zweite Frau, schrieb 1942 an das Ehepaar Kantorowicz: »Amerika ist wohl außerordentlich hart. Wir können auch ein Lied singen. Manchmal leben wir von 4 Dollar, manchmal von 2 die Woche.« Eine Phase intensiver Arbeit brachte der Roman
Lidice
, der, im Sommer 1942 entstanden, die nationalsozialistische Herrschaft in ihrer Komik bloßstellt. Doch
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