Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
Lübecks die Dialektik des Tyrann-Untertan-Verhältnisses wieder aufnahm, mit der historischen Perspektive vom Aufstieg des chauvinistischen Kleinbürgers und dem Untergang liberaler Humanität verband und – weitgehend entlastet von der Selbstauseinandersetzung des Satirikers – schärfer politisierte.
Wilfried F. Schoeller
Aus: Kindlers Literatur Lexikon. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Herausgegeben von Heinz Ludwig Arnold (ISBN 978-3-476-04000-8). – © der deutschsprachigen Originalausgabe 2009 J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag, Stuttgart (in Lizenz der Kindler Verlag GmbH).
Aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur:
Heinrich Mann
Geb. 27.3.1871 in Lübeck;
gest. 12.3.1950 in Santa Monica/Kalifornien
»Heinrich Mann ist wie sein Bruder Thomas deutscher Abstammung. Es wäre verfehlt, ihn und seine Werke in die Rubrik ›jüdischer Zersetzungsliteratur‹ zu stecken. Es ist auch nicht angebracht, ihn mit moralischer Entrüstung einfach abzutun. Heinrich Mann ist nicht Geschmeiß wie so und so viele der vergangenen Größen, sondern ein Gegner. Es hat keinen Wert, Heinrich Mann zu erniedrigen, er muss im Kampf um unser politisches, gesellschaftliches und geistiges Leben widerlegt und geschlagen werden.« Dieses Urteil widerfuhr dem Dichter im
Literaturblatt der Berliner Börsenzeitung
vom 25. Juni 1933. Unter dem Titel »Kritische Gänge« wurde hier mit denjenigen abgerechnet, deren Bücher am 10. Mai 1933 verbrannt worden waren und deren Namen bereits auf den Ausbürgerungslisten standen. Vorausgegangen war dieser »verdienten Ehre« (Klaus Mann) M.s Entfernung aus der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste am 15.2.1933. Seine Unterschrift unter den »Dringenden Appell« für den Aufbau einer einheitlichen Abwehrfront von SPD und KPD lieferte dem Kultusministerium den geeigneten Vorwand, diesem wahren »Antideutschen« die Niederlegung seiner Funktion als Vorsitzender der Abteilung Dichtkunst nahezulegen. Mit ihm trat Käthe Kollwitz aus der Akademie der Künste aus. Von mehreren Seiten gewarnt, emigrierte M. am 21. Februar 1933 zunächst nach Toulon, später nach Nizza.
Seinem selbst von erbittertsten Feinden anerkannten Rang als Gegner des nationalsozialistischen Regimes wurde er gerecht, als er noch im Jahre 1933, im »Einweihungsjahr des Tausendjährigen Reiches«, die Essaysammlung
Der Haß
publizierte, die parallel im Pariser Gallimard-Verlag und im Amsterdamer Querido-Verlag erschien. Die französische Tradition des »J’accuse!« von Émile Zola, einer Streitschrift von 1898, mit der dieser in die damals schwebende Dreyfus-Affäre eingriff, verband sich hier mit einer psychologischen Analyse der Protagonisten des Regimes: des gewissenlosen Abenteurers Hitler, der »Bestie mit Mystik« Göring, des »verkrachten Literaten« Goebbels. M. setzte in der Tradition seiner Essaybände
Geist und Tat
(1911) und
Zola
(1915) die Verteidigung der Kultur dagegen. Die Emigration wurde ihm so zur »Stimme des stumm gewordenen Volkes«, zum Abbild des »besseren Deutschland«. Der Sammlung der antifaschistischen Intellektuellen und der Stärkung ihres Widerstands war M.s Arbeitskraft in den ersten Jahren der Emigration von 1933 bis 1938 gewidmet: Er war Präsident des »Komitees zur Schaffung einer deutschen Bibliothek der verbrannten Bücher«, die als »Deutsche Freiheitsbibliothek« bereits am 10. Mai 1934 in Paris eingeweiht wurde; er initiierte die erste Vorbereitungstagung für die Volksfront im Pariser Hotel Lutetia am 2. Februar 1936, an der 118 Vertreter verschiedenster Oppositionsgruppen teilnahmen. In unzähligen Essays, Zeitschriftenbeiträgen, Tarn- und Flugschriften, in Rundfunkaufrufen und Anthologien plädierte er für einen streitbaren Humanismus, der ihn bisweilen der KPD und der Sowjetunion näherbrachte. M. – so hebt Brecht hervor – »sah die deutsche Kultur nicht nur dadurch bedroht, dass die Nazis die Bibliotheken besetzten, sondern auch dadurch, dass sie die Gewerkschaftshäuser besetzten. […] Er geht aus von der Kultur, aber die Kultiviertheit bekommt einen kriegerischen Charakter.« Exponent einer solchen kämpferischen Kultur ist Henri IV ., der Protagonist des zweibändigen Epos
Die Jugend des Königs Henri Quatre
und
Die Vollendung des Königs Henri Quatre
. Der zweite Teil erschien zwischen 1937 und 1939 in der Exilzeitschrift
Internationale Literatur
und entfachte eine heftige Debatte zwischen Arnold Zweig,
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