Der Novembermörder
PROLOG
Niemand sah, wie er durch die kompakte Novemberdunkelheit fiel. Mit einem schweren, dumpfen Ton schlug er auf den regennassen Pflastersteinen auf. Obwohl eigentlich noch Feierabendverkehr herrschte, befanden sich außergewöhnlich wenige Menschen auf dem Bürgersteig. Die Fußgänger stemmten sich gegen den Wind, während ihre Regenschirme sich umstülpten, und schoben ihr Kinn tief in hochgeschlagene Kragen, um ein wenig Schutz vor dem eisigen Regen zu finden. Jeder, der konnte, fuhr lieber mit dem Auto oder drängte sich in die feucht dampfende Wärme eines Busses oder einer Straßenbahn.
Eine ältere Frau, die einen widerspenstigen durchnässten Dackel an der Leine hinter sich her zog, war am nähesten dran. Das Aufjaulen des Hundes und seiner Herrin verkündete den Menschen in der Nähe, dass etwas Ernstes passiert war. Die vorbeieilenden Fußgänger verlangsamten ihre Schritte. Die Neugier siegte und zog sie zu dem Unglücksort.
Ein weißer Mercedes stand nachlässig am Kantstein geparkt. Ein Mann in einem hellen Ulster war gerade um den Wagen herumgelaufen und hatte die Tür auf der Beifahrerseite geöffnet, als die Dame mit dem Dackel anfing zu schreien. Der Mann drehte sich schnell um, spähte durch den Regen und entdeckte das Bündel, nur dreißig Meter von ihm entfernt. Seine Hand umklammerte weiter den Griff der offenen Wagentür, während er langsam den Kopf nach hinten beugte und zur obersten Wohnung des stattlichen Hauses hinaufsah. Ein leiser Jammerton entfuhr seiner Kehle, aber er blieb weiterhin wie gelähmt stehen. Die Frau auf dem Beifahrersitz sprang behände aus dem Wagen, ohne sich einen Mantel überzuziehen, und lief auf die unbewegliche Gestalt auf dem Boden zu. Die Frau war klein und dünn, was durch das elegante Chanelkostüm noch betont wurde. Die Kunst, auf hohen Hacken zu laufen, beherrschte sie formvollendet. Hektisch bahnte sie sich mit ihren Ellbogen einen Weg durch das Menschengedränge und gelangte so ins Zentrum des Geschehens.
KAPITEL 1
Der Streifenwagen war als Erster zur Stelle. Der Unfallwagen kam nur fünf Minuten später. Die Sanitäter konnten nur noch feststellen, dass nicht mehr viel zu tun war. Die beiden Polizisten versuchten die sensationslüsternen Zuschauer zurückzudrängen, die plötzlich klaglos Wind und Regen trotzten. Einer der Polizisten setzte sich in den Wagen und forderte Verstärkung an. »Schickt das Einsatzkommando zur Ecke Aschebergsgatan-Molinsgatan. Ein Mann ist aus dem fünften Stock gesprungen. Scheint dieser berühmte Typ zu sein. Knäck- irgendwas. Seine Frau und sein Sohn befinden sich hier, sie stehen unter Schock. Wir brauchen für beide einen Krankenwagen. Ja, genau … von Knecht.«
Kriminalkommissar Sven Andersson war auf dem Weg zu seinem alten Volvo 240 und wollte gerade den Schlüssel ins Schloss stecken, als er eine nur allzu vertraute Frauenstimme rufen hörte: »Sven warte! Es gibt Arbeit!«
Verärgert drehte er sich um und seufzte: »Was ist denn nun wieder los?«
Die Stimme der Inspektorin klang ein wenig sensationsheischend, als sie sagte: »Richard von Knecht ist vom Balkon gesprungen!«
»Richard von Knecht! Der Richard von Knecht …?«
»Ja. Klingt unglaublich, nicht? Vielleicht gab’s ja gerade irgendwo einen Börsencrash?«
»Steig ein. Hast du die Adresse?«
Es goss in Strömen, und der Kommissar musste die Scheibenwischer auf Höchstgeschwindigkeit stellen, um überhaupt etwas erkennen zu können. Göteborg machte seinem Spitznamen »Blöteborg« = Nassburg alle Ehre. Erst eine Woche zuvor hatte hier das nackte Chaos geherrscht, nachdem ein halber Meter Schnee gefallen war, was die ganze Stadt für mehrere Tage lahm gelegt hatte. Die Folgen davon würden sich sicher Anfang August des nächsten Jahres in hohen Geburtenraten zeigen. Jetzt herrschten erneut einige Plusgrade, und es war keine einzige Schneeflocke weit und breit mehr zu finden.
Inspektorin Irene Huss rief zu Hause bei ihren Teenagertöchtern an und teilte ihnen mit, dass es später werden würde. Das waren sie gewohnt, da ihre Mutter seit vielen Jahren bei der Kriminalpolizei arbeitete. Sie versprachen, mit dem Hund rauszugehen, ihm zu fressen zu geben und es Krister zu sagen. Er war es natürlich auch gewohnt. Wie üblich würde er seinen Töchtern etwas Leckeres kochen. Alles funktionierte reibungslos, auch ohne ihr Dazutun.
Sie musste laut geseufzt haben, denn Kommissar Sven Andersson warf ihr einen schnellen Blick zu und fragte: »Hast
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