Dornteufel: Thriller (German Edition)
1. Kapitel
B IHAR , I NDIEN
Das Metalltor schob sich langsam seitwärts, bis von der indischen Nacht nichts mehr zu sehen war. Es rastete mit einem endgültig klingenden Klacken ein. Julia Bruck stand in einer Schleuse, umgeben von fünf Meter hohen Wänden aus Beton und Stahl. Die Minuten schlichen dahin, und nichts passierte. Nach einer Weile hielt sie das Herumstehen nicht mehr aus und ging langsam auf und ab. Das Geräusch ihrer Schritte hallte von den harten Wandflächen wider. Entspannt bleiben, ermahnte sie sich. Das hier war nichts als eine kleine Machtdemonstration ihres neuen Auftraggebers.
Über die Forschungsmethoden des Kosmetikkonzerns Serail Almond und vor allem über den Umgang mit Mitarbeitern und Probanden kursierten ein paar hässliche Gerüchte. An die hatte sich Julia prompt erinnert, als auf der Herfahrt der gläserne Baukörper des Forschungszentrums in der Dunkelheit vor ihr aufgetaucht war. Wie das Facetten-Auge einer überdimensionalen Fliege hatte er ausgesehen, bläulich schimmernd – ein Fremdkörper zwischen den Feldern und Dörfern des indischen Bundesstaates Bihar. Beim Näherkommen waren ihr dann die hohen Mauern und die Masten mit den Scheinwerfern und Kameras aufgefallen, die das Forschungszentrum umgaben: eine moderne Festung mitten in Indien, rund achttausend Kilometer von Deutschland entfernt. Und nun die Prozedur mit der Schleuse … Na ja, wenn es ihr hier nicht gefiel, konnte sie ja jederzeit wieder gehen. Nur eben gerade jetzt nicht, da sie von Beton-und Stahlwänden eingeschlossen war.
Wahrscheinlich hatte dieser Tony Gallagher sie mit seiner Nervosität angesteckt. Die Reise von Frankfurt nach Neu-Delhi und der Anschlussflug nach Patna hatten insgesamt fünfzehn Stunden gedauert. Am Lok Nayak Jayaprakash Airport war Julia von Tony Gallagher mit einer konzerneigenen Limousine abgeholt worden. Als Ingenieurin für Versorgungstechnik war sie von ihrem Arbeitgeber, der ICL Thermocontrol GmbH, nach Indien geschickt worden, um die Klima- und Lüftungsanlage ihres Kunden, des Forschungszentrums von Serail Almond, zu sanieren und zu erweitern. Reinraum-Klimatechnik für Laborse war Julias Spezialgebiet.
Tony Gallagher, der Facility-Manager von Serail Almond India, war für dieses Projekt mitverantwortlich. Heute war er nicht gerade zu Smalltalk aufgelegt gewesen. Während der Fahrt in dem gepanzerten BMW hatte er die meiste Zeit aus dem Fenster gestarrt und dabei seine sommersprossigen Hände so stark geknetet, dass die Gelenke knackten. Der indische Bundesstaat Bihar, durch den sie fuhren, galt als einer der rückständigsten und ärmsten Indiens, hatte er ihr erklärt. Sowohl er als auch der indische Fahrer hatten eine Waffe getragen. In der Umgebung hier wimmele es von Räubern und Schlimmerem, war Gallaghers Kommentar zu Julias interessiertem Blick auf sein Schulterholster gewesen. Die nicht asphaltierte, vom Monsunregen ausgewaschene Straße war Julia bedrohlicher erschienen als die Aussicht, hier Ganoven in die Hände zu fallen. Auf sie wirkte der Verkehr in der Dunkelheit geradezu infernalisch: Von Rädern über unbeleuchtete Ochsenkarren bis hin zu motorisierten Fahrzeugen aller Art – einschließlich Doppelstock-Reisebussen – war hier eigentlich alles unterwegs, was fahren und etwas transportieren konnte. Nach eineinhalb Stunden war der Fahrer auf eine neu asphaltierte Straße abgebogen. Eine der Wohltaten von Serail Almond, vermutete Julia. Bis auf ein paar LKWs, die sie überholten, waren sie danach allein durch die Nacht gefahren.
Ein Lautsprecher knisterte. In der linken Wand der Schleuse befand sich ein Fenster. Dahinter leuchtete jetzt ein mattes Licht. Ein uniformierter Inder tauchte jenseits der Glasabtrennung auf und räusperte sich.
»Miss Bruck? Willkommen bei Serail Almond. Ihren Reisepass bitte.«
Julia zog ihren Ausweis aus der Tasche und legte ihn in eine ausfahrende Schublade.
Der Mann sah sich das Dokument aufmerksam an. »Und Ihr Mobiltelefon. Alle, wenn Sie mehrere haben.«
»Wie bitte?«
»Ist Vorschrift.« Er konnte sie anstarren, ohne zu zwinkern.
»Bekomme ich es zurück?«
»Privathandys sind hier nicht erlaubt.«
Sie war im Begriff, sich zu weigern, aber sie wollte raus aus der Schleuse. Also legte sie ihr Telefon ebenfalls in die Lade. Die Schublade glitt wieder rein, und es war verschwunden.
»Haben Sie ein Notebook, Palmtop, Blackberry oder Ähnliches bei sich?«, schnarrte es aus dem Lautsprecher.
»Was wollen Sie denn
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