Projekt Sakkara
Bonmot.
»Hat Dummheit etwas mit fehlendem Wissen zu tun?«, fuhr er fort. »Müssten wir nicht weniger dumm sein, wenn wir doch heute mehr wissen als früher? Wie weit müssen wir in unserer Suche nach Wissen gehen? Wie weit können wir gehen? Stoßen wir jemals an ein Ende?
Wir sind heute hier versammelt in einer Gemeinschaft der Suchenden, und unsere Suche ist vielleicht unsere einzige Gemeinsamkeit. Aber bei aller Suche werden Sie mir sicherlich zustimmen, wenn ich behaupte, dass die Menge dessen, was wir wissen, zwar größer ist als jemals zuvor. Aber auch, dass uns dies zugleich nur schmerzlich vor Augen geführt hat, dass die Menge desjenigen, was wir nicht wissen, dabei um ein Vielfaches angewachsen ist.
Anders, als noch vor einigen hundert Jahren, ist es heute nicht mehr möglich, alles gelesen zu haben, was es zu lesen gibt. Universalgenies wie Archimedes, Aristoteles, Da Vinci, Paracelsus, Newton oder Humboldt wären heute undenkbar. Überall wird geforscht, entdeckt und publiziert. Dabei produzieren wir täglich mehr Daten als alle Kulturen aller Zeitalter zusammengenommen. Doch produzieren wir dabei auch Wissen?
John Naisbitt, Zukunftsforscher und selbst ernannter Philosoph, hat es wunderbar in Worte gefasst, als er den Ausspruch prägte: ›We drown in information but we are thirsty for knowledge‹. Wir ertrinken in Informationen, aber wir dürsten nach Wissen.
Er weist hier auf eine bedeutende Unterscheidung hin: ›Wissen‹ ist nicht gleich ›Information‹. Und Hand aufs Herz: Was wissen wir denn wirklich? Wissen definiert sich streng genommen als Information, die auf einer eigenen Erfahrung beruht oder durch eine logische Ableitung begründet ist. Ich weiß zum Beispiel, dass es heute geregnet hat. Schließlich war ich dabei – mein Regenschirm hat dieses Wissen übrigens nicht.«
Wieder ein Lachen im Publikum.
»Aber dass Julius Cäsar vierundvierzig vor Christus ermordet wurde? Also da war ich nicht dabei. Wahrscheinlich auch keiner von Ihnen. Aber kann man es trotzdem wissen? Nun, wir können es aufgrund einer Vielzahl von Quellen, deren Vertrauenswürdigkeit durch ein komplexes Netzwerk von gegenseitigen Abhängigkeiten allgemein akzeptiert ist, als begründete, als belegte Tatsache ableiten und hinnehmen. Aber wirklich wissen ?
Wenn wir eine Wirkung verstehen wollen, müssen wir die Ursachen verstehen, sagt uns Bacon. Aus der Sicht der menschlichen Entwicklung heißt das, unsere Vergangenheit zu verstehen. Doch das Problem mit dem Wissen über unsere Vergangenheit ist eben dieses: Niemand von uns war dabei, als es passierte.«
Unter den Zuhörern saß Patrick Nevreux und grinste. Der Franzose war auf Einladung des Professors zu dieser Tagung gekommen und hörte nun zum ersten Mal einen seiner berüchtigten Vorträge, die häufig für zynisch gehalten wurden. Wenn sie auch intelligent und durchdacht waren und neue Zusammenhänge aufzeigten, ging deren Aussage doch oft in der Empörung über die Arroganz des Professors unter. Bei der heutigen Rede schien das aber nicht der Fall zu sein, im Gegenteil.
Patrick hatte den Professor vor zwei Jahren kennengelernt. So unterschiedlich sie auch waren, hatte man sie dennoch für ein gemeinsames Projekt in Südfrankreich ausgewählt. Es stellte sich heraus, dass sie sich hervorragend ergänzten. Er, Patrick, war Ingenieur, kein gelernter Historiker, aber mit untrüglichem Instinkt, Improvisationstalent und einiger Erfahrung im Feld. Insbesondere, wenn es darum ging, neue Technologien, Sonden oder Computer einzusetzen, war er in seinem Element. Peter, der Professor, hingegen, war ein Theoretiker und kaum praktisch veranlagt. Aber er war äußerst belesen und kritisch. Dass er dabei erstaunlicherweise ausgerechnet über Themen der Religion, des Aberglaubens und des Okkultismus so viel wusste, schien überhaupt nicht zu ihm zu passen, hatte sich aber in ihrer Arbeit als außerordentlich nützlich erwiesen.
Patrick erinnerte sich insbesondere an ein Erlebnis, an das er nicht zurückdenken konnte, ohne sich zu fragen, ob er es nicht vielleicht geträumt hatte. Die Höhle, der Durchgang, das blaue Licht, und Stefanie ... Mehr als alles andere hatte sie eine Spur in seiner Erinnerung hinterlassen. Er war der letzte Mensch, der in irgendeiner Form an höhere Mächte glaubte. An versunkene Goldstädte, ja. Aber nicht an esoterischen Hokuspokus. Dennoch blitzten an manchen Tagen merkwürdige Funken in ihm auf, wie Erinnerungsfetzen, plötzliche
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