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Promenadendeck

Promenadendeck

Titel: Promenadendeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ein Glücksfall, diese Kleine, dachte er voller Vorfreude, während er einer alten Dame ihre Reisetasche zur Kabine auf dem Oberdeck trug. Es werden nur wenige junge Mädchen an Bord kommen. Das ist nun wieder so eine Fahrt, wo das Durchschnittsalter der Passagiere zwischen sechzig und siebzig liegt – wer kann sich sonst so einen Luxus leisten. Ein paar gutbehütete Töchter werden dabeisein, aber das ist nichts für uns Stewards. Da stehen andere bereit. Die jungen Offiziere, die Schiffsingenieure. Die Kater vom Dienst. Ein Barsteward ist da schlecht dran, der steht nachts zwischen seinen Flaschen.
    Beate hatte gewartet, bis Norbert die Tür geschlossen hatte, griff dann zum Telefon und wählte die Kabinennummer 136. Dabrowski meldete sich.
    »Alles in Ordnung?« fragte sie.
    »Alles. Ich trinke gerade einen guten Whisky. Mein Kabinensteward heißt Volker. Ich bin offensichtlich sein erster Blinder. Er hat mich gefragt, ob er mich morgens anziehen muß.« Dabrowski lachte trocken. »Nein, habe ich gesagt, dafür ist ein nettes Mädchen mitgekommen! Er muß mich für einen total verrückten Millionär halten. Gut, wenn sich das an Bord herumspricht. – Was war bei Ihnen, Beate?«
    »Ich habe den Barsteward von der Atlantis-Bar an der Angel.«
    »Bravo! Wir sitzen übrigens an Tisch C 8, direkt gegenüber vom Kapitänstisch. Ein sehr guter Platz. Man kann von da aus viel überblicken.«
    Es klingt komisch, wenn ein Blinder so etwas sagt, aber Dabrowski schien seinen Spaß daran zu haben. Er war überhaupt ein Mensch mit Humor. Als ihm sein Steward Volker die Whiskyflasche und das Glas mit Eis brachte, sagte Dabrowski ganz unbefangen: »Hervorragend. Ein fünfzehn Jahre alter Chivas!« Und da er annahm, daß Volker ihn entgeistert anstarrte, fügte er hinzu: »Ich rieche das, mein Lieber. Wenn Sie blind wären, würden auch Sie die Welt mit Nase und Ohren erleben, vor allem mit den Ohren! Das Gehör ist das Entscheidende. So haben Sie zum Beispiel neue Schuhe an, Volker. Ich höre das, die frischen Sohlen knirschen noch beim Gehen. Sie sind noch nicht biegsam genug.«
    Verwirrt hatte Volker die Kabine verlassen. In der Deckpantry sagte er dann zu seinen Kollegen: »Ich hab' da vielleicht auf 136 einen Typ! Blind, aber hört die Flöhe husten. Erkennt den Whisky am Geruch.«
    »Blödsinn. Das gibt's nicht.« Der Steward vom Steuerbordflur, wegen seines langen, abstehenden Schnurrbarts ›Franz, der Propeller‹ genannt, winkte wie nach einem schlechten Witz ab. »Setz ihm beim nächstenmal einen deutschen Whisky vor; da wirste sehen, daß das nur ein Zufall war.«
    »Was machen Sie jetzt, Beate?« fragte Dabrowski am Telefon. Er saß an dem großen, zweigeteilten Fenster, und da die Kabine backbord lag, konnte man hinüber zu Pier 8 und über den weiteren Hafen blicken – sofern man sehen konnte. Dabrowski hatte sogar seine dunkle Brille abgenommen und sah durch das Fenster, als seien seine Augen völlig in Ordnung.
    »Ich warte auf das Gepäck«, antwortete Beate.
    »Das kann noch dauern. Gehen wir auf dem Promenadendeck spazieren?«
    »Wenn Sie wollen.«
    »Gut. Ich komme Ihnen bis zum Foyer entgegen. Bis gleich, Beate.« Er legte auf, griff nach einem Tonbandgerät und sprach langsam und betont: »An Bord. Keine besonderen Ereignisse. Ortszeit 16.22 Uhr.«
    Es blieb sein Geheimnis, wieso er zu einer solch präzisen Zeitangabe fähig war. Fünf Minuten später tastete er sich mit seinem weißlackierten Stock den Kabinengang hinunter zum Foyer des Oberdecks, vorbei am Frisiersalon und an der gläsernen Boutique eines internationalen Juweliers. Hier blieb er einen Augenblick stehen, klopfte – als stellte er sich in seinem Kopf einen Orientierungsplan zusammen – gegen die Scheiben und ging dann mit kleinen, vorsichtigen Schritten weiter. Die Passagiere, die ihm entgegenkamen, machten ihm Platz und drückten sich an die andere Flurwand.
    »Guten Tag«, sagte Dabrowski ein paarmal mit größter Höflichkeit. »Guten Tag. Danke schön!«
    Die Passagiere blickten ihm teils mit Staunen, teils mit Mitleid nach. Jaja, ein Gehör haben die Blinden! Und ein Gespür! Wie ein Wild; sie scheinen ihre Umwelt zu wittern. Aber trotzdem: Solch eine Reise zu machen – genaugenommen ist das Blödsinn. Auch wenn man ihm alles berichtet und beschreibt: Wie kann er begreifen, wie die Osterinsel aussieht oder Bora-Bora, die schönste Insel der Welt. Oder das Delta des Flusses Guayas, den man hinauffuhr nach Guayaquil, umgeben von

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