Hilfe, die Googles kommen!
Könnte Ernest Hemingway noch leben?
Diese Frage schießt mir durch den Kopf, während ich am Schreibtisch sitze und mir die ersten Worte des vorliegenden Buches überlege.
»Warum jetzt dieser Gedanke?«, wird der ein oder andere jetzt schon verwirrte Leser ausrufen, und wenn ich ehrlich bin: Das frage ich mich auch. Womit nun schon zwei Fragen im Raum stehen, auf die ich keine Antwort parat habe.
Ich verschwende keine Zeit an ineffiziente Überlegungen, öffne meinen Browser und will die Worte »Ernest« und »Hemingway« in die Google-Suchleiste tippen – nicht ohne mich zunächst darüber zu amüsieren, dass nach dem Tippen von »Ern« als mögliche Ergänzung von Googles »intelligenter« Suche »Ernährungsplan« und bei »Erne« der Vorschlag »Erneuerbare Energien« erscheint. Nach »Ernes« hat Google erkannt, dass ich Ernest Hemingway suche. Ich drücke die Enter-Taste, was mich zur Übersicht der Suchergebnisse bringt. (Gedanklich bleibe ich daran hängen, dass der nächste »Ernest«, den Google mit seinem geheimen Such-Algorithmus anbietet, Ernest Borgnine ist. Der Name kommt mir bekannt vor. In einem weiteren Browserfenster öffne ich die Ergebnisliste für diesen anderen Ernest und sehe schon anhand der Bilder, dass es sich um den Schauspieler handelt, der in der TV-Serie »Airwolf« mitgespielt hat – so glaube ich zumindest. Ich klicke auf den Eintrag, der seine komplette Filmographie zeigt, und sehe mich bestätigt. Just in diesem Moment fällt mir ein, dass die Titelmelodie der Serie eine meiner ersten Schallplattensingles war. Ich versuche, mir das Stück in Erinnerung zu rufen, während ich schon bei YouTube nach dem entsprechenden Video suche. Dabei widerstehe ich der Versuchung, auf die vorgeschlagenen »ähnlichen Videos« mit der »Street Hawk«-, »Magnum«- oder »MacGyver«-Melodie zu klicken, und besinne mich auf meine ursprüngliche Überlegung. Ähm … ach ja … könnte Ernest Hemingway noch leben?)
Trotz einer Trefferanzahl von 22.100.000 entscheide ich mich für den wohlfeilsten Link, den Wikipedia-Eintrag über Ernest Hemingway, und entdecke sofort, dass der Gute nicht mehr leben könnte, selbst wenn er sich nicht umgebracht hätte. Würde er noch leben, wäre er nämlich über 113 Jahre alt, und so alt kann ein Mensch nicht werden … oder?
Mmm … müsste ich mal googeln.
Na ja, wie auch immer – Hemingway ist tot, hat sich mit einem Gewehr die Schädeldecke weggeschossen, und mir wird klar, dass ich, ohne es zu merken, im zweiten Satz dieses Buches einen veritablen Wortwitz versteckt habe. Ich nehme mir vor, das später als Absicht zu verkaufen.
So langsam dämmert mir, woher meine Ausgangsfrage kommt: Ich möchte ein Buch schreiben. Dieses Buch hier. Irgendwie – und das soll jetzt nicht überheblich klingen – bin ich damit ein Kollege von Hemingway. Ok, das klingt überheblich. Ich formuliere es um: Ich bin zumindest in einer ähnlichen Situation wie Hemingway – nur eben ohne Daiquiri, Mojito, Pulitzer-Preis und Kuba. Der größte Unterschied ist allerdings, dass ich im Gegensatz zu Hemingway keine Remington oder Underwood-Schreibmaschine nutze, sondern einen Computer aus Cupertino, USA . Zumindest wurde er da erdacht. Gebaut wurde er in einem Billiglohnland, wo er unter miesen Bedingungen von ausgebeuteten Arbeitern gefertigt wurde. Eigentlich eine Sauerei, so ein Ding zu benutzen. Aber hach, er ist einfach soooooo schöööön.
So langsam lichtet sich das Chaos meiner Gedanken, und ich variiere meine Ausgangsfrage: Wäre Hemingways Leben anders verlaufen, wenn es zu seiner Zeit schon Computer mit Internetanschluss gegeben hätte? Oder, noch zugespitzter: Hätte ihn ein Rechner von Apple daran gehindert, sich die Birne wegzublasen?
Mein Gedankenspiel geht noch weiter: Wenn man sich einmal durch die zahlreichen Informationen über Hemingway klickt, erfährt man, dass es vor allem der Ruhm und die Stilisierung zur lebenden Legende war, die den an einer bipolaren Störung leidenden Schriftsteller in den Suizid getrieben haben. Die Frage ist nun, ob er überhaupt legendär geworden wäre, wenn seine Welt schon die technologische Überfrachtung mit ihren Zerstreuungen und Ablenkungen aufgewiesen hätte, mit der wir es heute zu tun haben.
Hätte er dann vielleicht statt des Romans »Wem die Stunde schlägt« nur das Smartphone-Manual »Wem die App eine Push-Nachricht schickt« geschrieben? Oder eine Sammlung von Surftipps für Senioren mit dem Titel »Der alte
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