Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Prophezeiung der Seraphim

Prophezeiung der Seraphim

Titel: Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Vassena
Vom Netzwerk:
Schulter.
    Julie atmete zitternd ein. Er hatte recht, sie musste systematisch vorgehen. Aber es gelang ihr kaum, das Entsetzen zurückzudrängen und nachzudenken. Immer wieder schob sich das Bild der geschändeten Körper oben im Schlafzimmer vor ihre Augen. Sie musste sich zusammenreißen. Die Zeichnung war Jacques’ Vermächtnis, auch wenn sie nicht genau wusste, worin es bestand. Sie griff nach der Kerze, die zusammen mit Feuerstein und einem Stück Eisen an ihrem Platz auf dem Regalbord stand, und wollte sie anzünden, da sauste etwas Helles durch das Fensterchen über dem Tisch herein.
    Nicolas konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken. »Nur eine Katze!«, knurrte er, als er erkannte, dass keine Gefahr drohte.
    »Songe!« Julie streckte die Arme aus, und die Katze sprang hinein. Julie drückte ihr Gesicht in den weichen Pelz.
    »Was ist denn los? Verdammt, es ist stockfinster hier! Wir hätten die Laterne mitnehmen sollen.«
    Nicolas klang gereizt, aber Julie achtete gar nicht auf ihn. Songe, meine Eltern. Sie sind tot.
    Ich weiß. Ich habe in den Straßen nach dir gesucht, und als ich ins Haus zurückkam, fand ich sie. Die Katze strich sanft mit ihrer Pfote über Julies Wange und stupste den Kopf gegen ihre Stirn.
    Der Schrei wollte wieder hochkommen, aber sie würde ihn nicht hinauslassen, denn sonst würde sie nie mehr aufhören können. Also biss sie die Zähne zusammen, und der unterdrückte Schrei verwandelte sich in ihrem Bauch in einen Klumpen aus Wut und Hass. Wenn stimmte, was Nicolas sagte, war seine Mutter schuld an Gabrielles und Jacques’ Tod.
    »Sie haben mich gesucht«, murmelte sie. »Wäre ich da gewesen, hätten sie nur mich geholt.«
    »Nein, sie hätten deine Pflegeeltern auf jeden Fall getötet«, warf Nicolas ein. »Was passiert ist, ist nicht deine Schuld. Können wir jetzt bitte verschwinden?«
    »Nicht ohne die Zeichnung.«
    »Was für eine Zeichnung? Das ist doch ganz unwichtig!«
    »Das ist es nicht!« Julie zündete die Kerze an, ein gelber Lichtkreis fiel auf Jacques’ Arbeitstisch.
    »Wo kann sie nur sein?« Sie setzte Songe auf den Tisch und durchwühlte erneut die Zettel. »Es war ein ziemlich großes Blatt. Und es war wichtig, ich habe gehört, wie meine Eltern darüber gesprochen haben, und außerdem hätte sich mein Vater nicht so erschreckt, als ich die Zeichnung zufällig gesehen habe.«
    Sprichst du von dem eigenartigen Gerät, an dem er in letzter Zeit gearbeitet hat?, mischte Songe sich ein.
    Julie nickte. Es sieht ein wenig aus wie ein Musikinstrument.
    Ich weiß, wo es ist. Songe sprang auf den Boden und verschwand unter der Arbeitsplatte. Julie kauerte sich nieder und leuchtete unter den Tisch, wo Songe mit der Vorderpfote an einem Dielenbrett kratzte.
    Das Brett ist lose, heb es hoch.
    Julie bat Nicolas um den Schraubenzieher, kroch ganz unter den Tisch und hebelte mit der Spitze das Brett aus dem Boden. Obwohl sie kaum etwas erkennen konnte, steckte sie den Arm in das Loch. Es war überraschend tief, aber dann ertasteten ihre Fingerspitzen doch etwas: eine Papierrolle.
    »Beeilung, bitte«, drängte Nicolas. Die Kerze flackerte wieder und verlosch beinahe, aber Julie brauchte kein Licht, um die Rolle hervorzuziehen. Nicolas streckte die Hand danach aus. Das Licht malte unheimliche Schatten auf sein Antlitz, und sie zögerte. Plötzlich kamen ihr Zweifel. Sie kannte ihn kaum. Vielleicht war alles eine List, um an die Zeichnung heranzukommen. Sie beachtete die Hand nicht und kroch unter dem Tisch hervor. Die Papierrolle drückte sie platt und band sie sich mit ihrem Schultertuch um den Bauch.
    »Genug jetzt! Wir gehen!« Nicolas machte ein undurchdringliches Gesicht und wandte sich zum Vorhang. Plötzlich drang durch das Fenster ein Rascheln und Quieken.
    Nicolas fuhr herum. »Was ist das?«
    »Zouzou! Ich muss nach ihr sehen.«
    »Wer ist Zouzou?«
    »Unser Schwein.« Julie war schon bei der Eingangstür. Es war ihr plötzlich ungeheuer wichtig, nachzusehen, ob es Zouzou gut ging.
    »Wir haben keine Zeit, uns um ein Schwein zu kümmern!«
    Julie beachtete seine Einwände nicht und marschierte zurück ins Wohnhaus, durch den Korridor und zur Hintertür hinaus. Der Hof lag dunkel und still, nur das Schnüffeln und Grunzen des Schweins war leise zu hören. Julie hielt die Kerze hoch, deren Licht auf kleine, glänzende Äuglein fiel. Zouzou ahnte nichts von all dem Schrecklichen, das geschehen war.
    »Ich muss ihr Wasser geben.« Julie stellte die Kerze auf dem Boden

Weitere Kostenlose Bücher