Prophezeiung der Seraphim
hängen ließ und wie ein Hund hechelte. Der Gestank nach faulem Fleisch, der seinem Rachen entströmte, wehte bis zu ihr herüber, und sie würgte bei der Vorstellung, was es vor Kurzem gefressen haben mochte.
»Dazaar, du kennst mich«, rief Nicolas nun. »Ich bin der Sohn deiner Herrin. Ich bringe das Mädchen zu ihr.«
Der Cherub zögerte, legte den Kopf schief, und Geifer tropfte aus seinem Maul. Er knurrte, während er Nicolas nicht aus den Augen ließ.
»Geh und berichte der Herrin, dass ich auf dem Weg bin«, fuhr dieser mit fester Stimme fort.
Dazaar rührte sich nicht. Seiner Kehle entstieg ein Grollen, und Julie sah Nicolas vor Anspannung zittern. Diesen Augenblick wählte Fédéric, um davonzulaufen, doch er stolperte und landete rücklings auf dem Boden. Der Kopf des Cherubs fuhr herum. Die Muskeln unter seiner Haut spannten sich an, als er auf Fédéric, der sich am Boden zusammenrollte, zuschnellte.
»Nein!« Erst nach einem Lidschlag merkte Julie, dass sie es war, die gerufen hatte.
Der Cherub blieb stehen, wandte sich nun ihr zu, zog die Lefzen noch weiter zurück und knurrte erneut. Dann duckte er sich und sprang.
Julies Schmerz, ihre Trauer und Wut verschmolzen, und ohne dass sie es kommen spürte, brach das blaue Licht aus ihr heraus. Diesmal war es keine Blase, sondern ein Strahl, der den Cherub mitten im Sprung traf. Er heulte auf, als er nach hinten geschleudert wurde und in das Schweinegatter krachte. Die Balken knickten wie Zündhölzer, und Dazaar ging in einem Wirbel aus Holzsplittern und Flügeln zu Boden. Zouzou quiekte, ein Hieb des Cherubs wirbelte sie hoch, und als sie herunterfiel, war sie schlaff und still.
Dazaar richtete sich auf. Hinter ihm flammte das Stroh von Zouzous Lager auf, offensichtlich war die Kerze umgefallen und hatte es in Brand gesteckt. Er brüllte vor Wut, und Julie wünschte, sie könnte sich den Klang seiner Stimme aus den Ohren kratzen.
Der Cherub stand wieder, schüttelte sich, breitete die Flügel aus und stieg empor bis zur Dachkante, dann stürzte er sich erneut hinunter in den Hof. Nicolas sah sehr klein aus gegen den Dämon, aber er wich auch jetzt nicht zurück. Julie versuchte, noch einmal das Licht heraufzubeschwören, aber sie war so ausgelaugt, dass sie taumelte.
»Mach bloß nicht schlapp!« Fédéric war bei ihr, legte ihr den Arm um die Hüfte und zog sie in den Unterstand. Hinter einem Kistenstapel ließ er sie zu Boden gleiten.
»Das Feuer«, sagte sie. »Er fürchtet das Feuer.«
»Bleib hier.« Fédéric verschwand.
Durch eine Ritze beobachtete Julie, wie er am Boden entlangrobbte und dabei so weit wie möglich im Schatten des Hauses blieb, um nicht die Aufmerksamkeit des Cherubs zu erregen, dessen Silhouette sich vor den Flammen abhob. Dazaar war abgelenkt, weil Nicolas wieder mit ihm sprach, doch Julie sah, wie er mit den Krallen zu scharren begann. Inzwischen hatte Fédéric das brennende Stroh erreicht. Die Flammen stiegen hoch auf, Funken stoben umher wie Glühwürmchen. Julie fürchtete, auch Fédérics Kleidung könnte Feuer fangen.
Songe glitt aus dem Dunkel und schmiegte sich an sie. Ihre Nähe milderte die Übelkeit, die ihren ganzen Körper erfasst hatte.
Du hast zu viel Kraft verloren , sagte die Katze.
Ich wollte es nicht, es ist einfach passiert.
Wo ist dein Amulett?
Erst jetzt bemerkte Julie, dass es nicht mehr um ihren Hals hing. Auch auf dem Boden des Unterstands war es nicht zu finden. Doch sie hielt sich nicht mit der Suche auf, sondern beobachtete weiter, was auf dem Hof geschah. Sie verfluchte ihre Schwäche und schwor sich, zu lernen, wie sie das blaue Licht beherrschen konnte. Fédéric wurde von Dazaar verdeckt, deshalb konnte sie nicht sehen, was er tat. Nicolas sprach noch immer in drängendem Ton auf den Cherub ein, doch der breitete nun die Flügel aus. Nicolas wich zurück – ein Fehler, denn Dazaar hob die Klauen und duckte sich angriffsbereit.
In diesem Moment ertönte Fédérics Stimme: »Hierher, du widerliches Biest!«
Ein Feuerstreif schoss durch die Luft und traf Dazaars Schulter. Der Cherub brüllte auf und fuhr herum. Julie schlug die Hand vor den Mund.
Fédéric stürzte sich auf das Ungeheuer, ein brennendes Brett in der Hand, mit dem er nach dem Cherub hieb wie mit einem Schwert. Knisternd fraß das Feuer sich in einen von Dazaars Flügeln und er brüllte auf. Julie sah ihn ausholen, dann wirbelte Fédérics Körper durch die Luft und krachte dicht bei den Flammen auf den
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