Purpurfalter
düstere Land betreten hatte, dessen Bewohner. Sie warfen ihr scheue Blicke zu. Niemand schaute ihr offen ins Gesicht. Akribisch versuchte Loreena auszumachen, wer Vampir und wer Mensch war, doch das stellte sich als äußerst schwer heraus. Nicht umsonst betrachtete das Krisis Gebiet die Vampire als eine der größten Mächte. Die Blutsauger waren nicht von den Menschen zu unterscheiden – wenn sie dies nicht wollten. Es wäre für die Blutsauger ein Leichtes gewesen, sich in andere Länder einzuschleichen, die Gunst von Herrschern zu erlangen und diese hinterrücks zu ihresgleichen zu machen – wenn ihnen ihr überheblicher Stolz dies nicht verbieten würde. Aber es war das erste Mal in der Geschichte der Krisis, dass ein König sich den Vampiren freiwillig unterwerfen wollte.
Verwundert stellte Loreena fest, dass die Wolfsburg die kleine Gruppe bereits erwartete. Bereitwillig öffneten die Wachen, bewaffnet mit Armbrüsten und Langschwertern, ihr und dem Gefolge die Tore. Angriffe blieben aus. Es war fast so, als ignorierte man sie. Oder ließ man den Luchs in den Käfig, um die Falle zuschnappen zu lassen?
Loreena und ihre Begleiter übergaben die Pferde dem Stallmeister. Dann stiegen sie die lange Steintreppe der Burg empor. Rechts und links erblickte Loreena seltsame Steinfiguren: Bestien, aggressive Kreaturen, die gerade auf dem Sprung waren eine Beute zu reißen. Auf den tellergroßen Hinterpfoten standen sie, die Vorderläufe erhoben, um dem Feind ihre Krallen ins Fleisch zu schlagen. Loreena erinnerten die Figuren an tollwütige Hunde mit vor Irrsinn geweiteten Augen. Obwohl die Kreaturen aus Stein gemeißelt waren, meinte sie ein Blitzen und bösartiges Funkeln in ihren Pupillen zu erkennen. Verunsichert beschleunigte sie ihre Schritte und sah dennoch ein letztes Mal zurück. Erst in diesem Moment wusste sie, was sie von Anfang an irritiert hatte. Der Stein, aus dem die Monster geschlagen waren, besaß eine unwirklich graue Farbe. Sie erinnerte sie an Wolfsfell. Fast meinte Loreena Schattierungen erkennen zu können und Haare, die sich jeden Moment aufstellen würden. Werwölfe! Hastig wandte sie sich ab, um nicht schreiend fortzulaufen.
Loreenas Blick wanderte über die verzierte Eisentür der Wolfsburg, die so breit wie die Treppe war, hinauf zu den Türmen. Ihr Atem stockte. Fratzen zeigten sich an den Fenstern. Sie lächelten ihr gierig zu und verschwanden hinter pechschwarzen Seidenvorhängen.
Jetzt reicht es, schimpfte sie innerlich mit sich selbst, konzentrier dich auf deine Aufgabe!
Sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als wollte sie die Trugbilder mit dieser Geste wegwischen.
Ein Mann in roter Samtrobe empfing Loreena und ihre Gefolgschaft an der Tür. Goldene Glöckchen baumelten an seinem Gewand und erzeugten eine Melodie, wann immer er sich bewegte. Sein rundliches Kinn ragte erhaben in die Luft, als er sich vor ihnen aufbaute. Das Gesicht setzte sich erschreckend bleich von der schwarzen Fassade der Wolfsburg ab.
„Folgt mir.“ Er wandte sich an Loreena, während er der Leibgarde und den Gelehrten abweisend seine vernarbte Hand vorhielt.
Loreena nickte ihren Begleitern zu und folgte dem untersetzten Mann. Hallend fiel die Eisentür hinter ihrem Rücken ins Schloss. Sie schreckte zusammen. Ein Gefühl von Beklemmung lag wie ein unsichtbarer Strick um ihren Hals. Immer wieder blickte sie sich angespannt um, während sie dem Vampir folgte. Sie stellte verwundert fest, dass keine Malereien an den Wänden hingen. Keine erhabenen Gesichter vergangener Oberhäupter. Keine heroischen Posen verstorbener Helden. Spärlich brannten Fackeln, die in Metallhalterungen an den Wänden steckten. Und Loreena fragte sich, ob Vampire wie Katzen im Dunkeln sehen konnten.
Von irgendwo unten - aus den Katakomben - erklang eine Melodie, die sie einlullte. Unweigerlich schmunzelte sie, obwohl ihr nicht danach zu Mute war. Eine Harfe oder eine Geige? Gar eine Stimme? Sie konnte es nicht deuten und so verschwand ihr Lächeln abrupt.
Schließlich gelangten Loreena und der Vampir an eine weitere Tür, diesmal nur mit einem verschnörkelten Buchstaben verziert: Rosen mit übergroßen Dornen rankten um ein „S“. Die Pranken des Vampirs mit der ungewöhnlichen Samtrobe öffneten die Pforte, schoben Loreena unsanft in das Gemach und schlossen den Eingang sofort hinter ihr. Noch bevor sie sich im Raum umschauen konnte, stand vor ihr der hoch gewachsene Mann, über den die Kinder Schauerlieder
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