Die Masken der Liebe
I
Kleines Vorspiel
Wenn ein junges, knuspriges Mädchen in den Sommerferien schwimmen geht, knüpfen sich daran Erwartungen, die nicht nur mit dem Wasser allein zu tun haben. Denn das ist nun einmal so, das läßt sich einfach nicht ändern: Wasser, Sonne, Jugend und Flirt gehören zusammen. Wenn eines fehlt, macht das ganze Baden keinen Spaß mehr.
Lang erstreckt sich der Stausee bei Ebbenrath zwischen den grünen Bergen. Sein Wasser glitzert in der Sonne, die weißen Segel der Boote blähen sich über den Wellen, und das dunkle Grün der Fichten rings auf den Bergen umrahmt den silbern schimmernden See. Die kiesigen oder sandigen Ufer verlocken zum Sonnenbaden, auf den Waldwiesen stehen Zelte, und der Schwarm der Paddelboote sammelt sich in den weiten Buchten, über denen am Abend der Gesang der an den Lagerfeuern sitzenden jungen Leute erschallt.
An all das dachte Brigitte Borgfeldt, als sie in den Sommerferien 1947 nach Ebbenrath zu ihrem Schwager Heinz Konradi fuhr, um einmal – so nebenbei – im Auftrag der Familie festzustellen, ob die Ehe ihrer Schwester Elisabeth mit dem ›Künstler‹ Konradi auch wirklich den Erfordernissen einer herkömmlichen Ehe entsprach.
Heinz Konradi, der als Privatgelehrter den Ehrgeiz besaß, unbedingt die dramatische Begabung und Betätigung der Südsee-Völker zu erforschen und ein Buch darüber zu schreiben, das einem Ladenhüterschicksal nicht würde entgehen können, sah dem Besuch seiner Schwägerin mit gemischten Gefühlen entgegen. Sein ›unsolides‹ Künstlertum war ein Stein des Anstoßes für die ehrsame Bürger-und-Lehrer-Familie Borgfeldt, ein Herd des Konfliktes mit seinen Schwiegereltern, der geheime, tiefe Kummer seiner überaus realistisch und praktisch denkenden Frau Elisabeth. Das dürfte nicht noch mehr geschürt werden, sondern sollte in diesen wenigen Tagen im Gegenteil nach Möglichkeit abgebaut werden, damit Brigitte keine Veranlassung sah, ihre ›unglückliche‹ Schwester Elisabeth zu bedauern und den Eltern Entsprechendes zu vermelden. Heinz Konradis Kopf war deshalb angefüllt mit Programmen und Projekten, die seinen Sinn für die Wirklichkeit unter Beweis stellen sollten.
Aber an Baden im Stausee dachte er nicht.
Es ist meistens so, daß das, woran man nicht denkt, sich dann irgendwie von selbst ergibt.
Wasser im Sommer ist etwas Köstliches. Ein Stausee ist es wert, daß man neben ihm alles vergißt und sich nur mit dem wohligen Gefühl der Entspannung seine prickelnden Wellen über den Körper spülen läßt.
Als Brigitte Borgfeldt mit den Konradis am Stausee erschien und sich in einer der zahlreichen Buchten ins Gras sinken ließ, saß ihnen gegenüber am jenseitigen Ufer ein Mann und las in einer Zeitung.
Zeitungslesende Männer sind nichts Auffälliges. Und auch Heinz Konradi, der seiner Schwägerin Brigitte einen gelehrten Vortrag über ein längst vergessenes Urtheater hielt, achtete nicht besonders auf diesen Mann, bis er überrascht feststellte, daß der Betreffende bei ihnen herüben aus dem Wasser stieg und sich prustend, mit Wassertropfen um sich spritzend, an der Seite Brigitte Borgfeldts niederließ.
»Nanu?« meinte Heinz Konradi und blickte zum anderen Ufer des Sees hinüber. »Sind Sie nicht der Herr, der eben noch da drüben Zeitung las?«
»Allerdings.«
Die Stimme des Mannes war dunkel, dröhnend, von einer enormen Resonanz, die Heinz Konradi sofort in ihren Bann schlug. Konradi ging gern ins Theater, er verstand deshalb etwas von Stimmen. Das Organ des Fremden, aber auch seine mächtige Gestalt, der einem Möbelpacker gehören konnte, überhaupt die ganze Erscheinung paßte zu dem Bild, das sich von einem schweren Bühnenhelden zu machen Konradi gelernt hatte.
»Wie?« sagte er maßlos erstaunt. »Sie sind da so schnell herübergeschwommen?«
»Warum nicht? Alles nur Übungssache.«
»Ich danke! Sie sind ja rekordverdächtig!«
»Halb so wild. Ich bin gern am Wasser. Das ist die einzige Erholung, die einzige Abwechslung, die man hat. – Darf ich Ihnen ein bißchen Gesellschaft leisten?«
Die Frage war überflüssig, denn er saß ja, wie gesagt, schon neben Brigitte im Gras.
So kam man ins Gespräch, und Heinz Konradi erfuhr, daß der gute Schwimmer Herbert Sanke hieß und keinesfalls mit dem Theater zu tun hatte; sondern im Kreis Ebbenrath Milchkontrolleur war, dem es in einer Zeit, in der die Leute noch nicht so üppig lebten wie heute, an nichts mangelte. Verheiratet war er auch noch nicht. Im übrigen
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