QED: Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie (German Edition)
ihm statt dessen Grün (»antigrün« bedeutet, daß das Gluon Grün in die entgegengesetzte Richtung trägt). Genausogut könnte dieses Gluon von einem grünen Quark absorbiert werden, das sich dann in ein rotes verwandeln würde (vgl. Abb. 83). Insgesamt gibt es acht verschiedene mögliche Gluonen wie rotantirot, rot-antiblau, rot-antigrün und so fort (nun würden Sie sicher neun Arten erwarten, aus technischen Gründen fehlt jedoch eine). Theoretisch ist das Ganze nicht sehr kompliziert. Die Regel lautet schlicht und einfach: Gluonen koppeln an Dinge, die »Farbe« haben. Wir müssen einzig gute Buchhalter sein, um die Spur der »Farben« nicht aus den Augen zu verlieren.
Allerdings eröffnet diese Regel eine interessante Möglichkeit: Gluonen können auch an andere Gluonen koppeln (vgl. Abb. 84). Zum Beispiel ergibt sich aus der Kopplung eines grünantiblauen Gluons und eines rot-antigrünen Gluons ein rot-antiblaues Gluon. Die Gluonentheorie ist ganz einfach – man braucht bloß das Diagramm anzufertigen und den »Farben« zu folgen. Die Kopplungsstärke wird in allen Diagrammen durch die Kopplungskonstante g für Gluonen bestimmt.
Wie Sie sehen, unterscheidet sich die Gluonentheorie der Form nach wirklich nicht wesentlich von der Quantenelektrodynamik. Wie aber hält sie der Prüfung durch das Experiment stand? Nehmen wir zum Beispiel das magnetische Moment des Protons: Welchen Wert ergeben die Versuche und welchen die Berechnungen nach der Theorie?
Die Experimente lassen nichts an Genauigkeit zu wünschen übrig. Sie können das magnetische Moment bis auf fünf Stellen nach dem Komma mit 2,79275 angeben, wohingegen die theoretischen Berechnungen über 2,7 plus/minus 0,3 nicht hinauskommen. Das heißt, die Theorie ist – selbst bei optimistischer Einschätzung ihrer Genauigkeit – zehntausendmal weniger genau als das Experiment. So besitzen wir zwar eine einfache, präzise Theorie, die eigentlich alle Eigenschaften der Protonen und Neutronen erklären soll, können aber nichts mit ihr berechnen, weil die Mathematik unseren Horizont übersteigt. (Jetzt erraten Sie, woran ich – bislang ohne Erfolg – arbeite.) Und warum können wir keine größere Genauigkeit erreichen? Weil die Kopplungskonstante g für Gluonen so viel größer ist als für Elektronen. Gleichungen mit zwei, vier oder auch sechs Kopplungen bedeuten nicht nur geringfügige Korrekturen der Hauptamplitude; sie stellen beträchtliche Beiträge dar, die wir nicht einfach übergehen können. So haben wir es mit Pfeilen von derart vielen verschiedenen Möglichkeiten zu tun, daß es uns bis jetzt nicht geglückt ist, sie für die Berechnung der Resultierenden in einer vernünftigen Weise zusammenzufassen.
In Büchern erscheinen die Naturwissenschaften als etwas ganz Einfaches: Man stellt eine Theorie auf, vergleicht sie mit dem Experiment, verwirft sie, wenn sie nichts taugt, und stellt eine neue auf. In unserem Fall haben wir eine präzise Theorie und Hunderte von Versuchen und können sie nicht miteinander vergleichen! Eine Situation, die es nie zuvor in der Geschichte der Physik gegeben hat. Aus dieser Klemme könnte uns nur eine neue Rechenmethode heraushelfen. Im Moment sehen wir uns buchstäblich in dem Wust von lauter kleinen Pfeilen untergehen.
Trotz dieser mathematischen Schwierigkeiten gibt uns die Theorie der Quantenchromodynamik (der starken Wechselwirkungen von Quarks und Gluonen) in allerlei qualitativen Dingen Aufschluß. Die für uns sichtbaren, aus Quarks gebildeten Objekte sind »farbneutral«: Die Dreiergruppen enthalten ein Quark von jeder »Farbe«, und die Quark-Antiquark-Paare haben die gleiche Amplitude, rot-antirot, grün-antigrün oder blauantiblau zu sein. Ebenso begreifen wir, warum es nicht gelingen kann, einzelne Quarks zu erzeugen – warum wir, gleichviel, mit welcher Energie wir ein Proton auf einen Kern schießen, nie ein einzelnes Quark erhalten, sondern stets einen Strahl aus Mesonen und Baryonen (Quark-Antiquark-Paaren und Gruppen aus drei Quarks).
Quantenchromodynamik und Quantenelektrodynamik machen freilich nicht die ganze Physik aus. Ihnen zufolge dürfte ein Quark seine »Flavorquantenzahl« nicht verändern: einmal ein u- Quark, immer ein u- Quark; einmal ein d- Quark, immer ein d- Quark. Aber die Natur läßt sich nichts vorschreiben – nicht bindend jedenfalls. Es gibt eine langsame Form der Radioaktivität, den sogenannten Betazerfall (besonders gefürchtet, wenn in
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