Das Sakrament
In den Fogarasch-Bergen – Auf der ostungarischen Steppe
1540 IM F RÜHJAHR
Eines Nachts trugen ihn die purpurroten Reiter mit sich fort – weit weg von allem, was er kannte. Der Vollmond stand im Zeichen des Skorpions, seinem Geburtszeichen, und das Licht leuchtete den Teufeln den Pfad zu seiner Tür. Wenn sich die Kriegshunde nicht verirrt hätten, wäre der Junge niemals gefunden worden, und Liebe und Frieden hätten ihn sein Leben lang begleitet. Aber so ist nun einmal das Schicksal in Zeiten des Aufruhrs. Und wann hätte es jemals eine Zeit ohne Aufruhr gegeben? Wann war nicht der Krieg die Brutstatt alles Bösen? Wer trocknete die Tränen der Namenlosen, wenn sogar Märtyrer und Heilige in ihren Grabmälern liegen und schlafen? Ein König war gestorben, sein Thron war bitter umkämpft, und Kaiser fochten miteinander wie Schakale um ein Aas. Wenn sich schon Kaiser wenig um die Gräber scheren, die sie ringsum hinterlassen, warum sollte es ihre Diener mehr kümmern? Wie der Herr, so die Knechte , sagen die Weisen.
Der Junge hieß Mattias und war zwölf Jahre alt. Seine Familie waren sächsische Schmiede, die der wandernde Großvater in ein Tal in den Karpaten verpflanzt hatte, in ein Dorf, das für niemanden von Belang war, außer für die Menschen, die es ihr Zuhause nannten. Mattias schlief beim Herdstein in der Küche und träumte von Feuer und Stahl. Bereits vor der Dämmerung wachte er auf. Sein Herz pochte ihm wie ein wilder Vogel in der Brust. Er schlüpfte in die Stiefel und zog sich den Mantel über. Ganz leise, weil zwei Schwestern und die Mutter nebenan schliefen, holte er Holz und entfachte aus der Glut im Kamin Flammen, damit die Wärme die Mädchen beim Aufstehen begrüßen würde.
Wie alle Erstgeborenen seiner Familie war Mattias ein Schmied. An diesem Tag wollte er einen Dolch zu Ende schmieden, und derGedanke an dieses Vorhaben erfüllte ihn mit Freude. Er nahm ein brennendes Scheit aus dem Kamin und stahl sich auf den Hof. Die scharfe Nachtluft strömte in seine Lungen. Ringsum wurde die Welt vom Mondlicht in schwarze und silberne Farben getaucht. Über dem Bergkamm zogen die Sterne ihre Bahnen. Mattias suchte bekannte Formen und benannte sie flüsternd. Die Jungfrau. Der Bärenhüter. Kassiopeia. Weiter unten auf den Berghängen zeichneten Streifen gleißender Helle den verzweigten Lauf des Bergbachs nach. Unterhalb der Wälder schwebten die Weiden im Dunst. Auf der anderen Seite des Hofs stand die Schmiede des Vaters wie ein Tempel für einen unbenannten Propheten. Der Feuerschein auf ihren hellen Steinmauern versprach Zauber, Wunder und Taten, die niemand je vollbracht hatte.
Wie es ihn sein Vater Kristofer gelehrt hatte, bekreuzigte sich Mattias auf der Schwelle und flüsterte ein Gebet zum heiligen Jakobus. Sein Vater war unterwegs, beschlug Pferde und schärfte Gerätschaften auf den Bauernhöfen und in den Herrenhäusern. Würde er bei seiner Rücckehr zornig werden, wenn er herausfand, daß Mattias drei Tage für einen Dolch verschwendet hatte? Anstatt Angelhaken oder eine Säge oder eine Sense zu schmieden – Dinge, für die man jederzeit Käufer fand? Nein, nicht, wenn die Klinge perfekt geworden war. Dann wäre sein Vater stolz auf ihn.
Die Schmiede roch nach Ochsenhuf und Meersalz, nach Pferden und Kohle. Der Feuertopf war bereit, wie er ihn am Vorabend hinterlassen hatte, und bei der ersten Berührung mit dem brennenden Holzscheit loderten die Kienspäne auf. Mattias betätigte den Blasebalg und gab die am Vortag verkokste Kohle auf das Feuer, baute es auf, bis die brennende Holzkohle zwei Fingerbreit auf der Spitze des Blasebalgrohres lag. Dann zündete er die Lampe an und nahm seine Klinge aus der Asche, in der er sie über Nacht vergraben hatte.
Zwei Tage hatte er gebraucht, um den Stahl zu begradigen und zu härten, sechs Fingerbreit in der Klinge und vier im Heftzapfen. Messer hatte er schon vorher gemacht, aber dies war sein erster Dolch. Das Schmieden des starken Grats forderte ein Vielfachesan Geschick. Mattias blies die letzte Asche fort und schaute an den Schrägen entlang, konnte weder Verwerfungen noch Verdrehungen entdecken. Mit einem feuchten Lappen wischte er die Klinge sauber und glättete beide Oberflächen mit Bimsstein. Dann polierte er sie mit Schmirgelpulver und Butter, bis sie dunkelblau glänzte. Nun würde seine Kunst beim Härten auf die Probe gestellt werden.
Auf die Unterlage aus Holzkohle häufte er einen Viertel Fingerbreit Asche auf, darauf
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