QED: Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie (German Edition)
B), nur daß man beim Myon einen anderen Wert für n einsetzt. 28
Da das Myon eine rund zweihundertmal größere Masse besitzt als das Elektron, dreht sich der »Stoppuhrzeiger« in seinem Fall auch zweihundertmal schneller als bei einem Elektron. Dieser Umstand gestattet uns, die Theorie der Elektrodynamik bei zweihundertmal geringeren Entfernungen als den bisher überprüften zu testen. Allerdings trennen uns selbst dann noch über achtzig Dezimalstellen von jenen Entfernungen, bei denen die Gefahr der Unendlichkeit akut wird.
Erhebt sich die Frage, ob das Myon ebenfalls an einem radioaktiven Prozeß wie dem Betazerfall beteiligt sein kann. Oder anders ausgedrückt: Kann ein W-Teilchen, das bei der Umwandlung eines d- Quarks in ein u- Quark emittiert wird, anstatt an ein Elektron auch an ein Myon koppeln? Ja (vgl. Abb. 90). Und was passiert dann mit dem Antineutrino? Im Falle der Kopplung eines W-Teilchens an ein Myon tritt an die Stelle des gewöhnlichen Neutrinos (das wir von jetzt an ein Elektron-Neutrino nennen wollen) ein als Myon-Neutrino bezeichnetes Teilchen. Damit haben wir unsere Teilchentabelle um eine neue Rubrik erweitert, neben Elektron und Neutrino treten: das Myon und das Myon-Neutrino.
Und was ist mit den Quarks? Schon sehr früh tauchten Teilchen auf, deren Quarks schwerer sein mußten. als die u- oder d- Quarks. So wurde ein drittes Quark in die Liste der Elementarteilchen aufgenommen: das s- Quark (wobei s für strange , sonderbar, steht) mit einer Masse von rund 200 MeV (gegenüber den 20 MeV des u- und d- Quarks).
Jahrelang glaubte man, es gebe nur drei »Flavorquantenzahlen« – u- , d- und s- Quarks –, bis 1974 ein neues Teilchen entdeckt wurde, das Psi-Meson, das nicht aus diesen drei Quarks bestehen konnte. Auch die Theorie hatte gute Gründe für die Annahme eines vierten Quarks, das – genau wie das u- an das d- Quark – durch ein W an das s- Quark gekoppelt sein mußte (vgl. Abb. 91). Die »Flavorquantenzahl« dieses Quarks wurde c genannt, aber mir fehlt der Mumm, Ihnen zu verraten, wofür c steht. Vielleicht haben Sie das Wort damals in der Zeitung gelesen. Die Namen werden immer schlimmer!
Wozu die Wiederholung von Teilchen mit den gleichen Eigenschaften, aber einer schwereren Masse? werden Sie fragen. Wir wissen es nicht. Wir haben nicht die geringste Ahnung, was diese sonderbare Verdoppelung des Schemas soll. Wie Professor I. I. Rabi bei der Entdeckung des Myons sagte: »Wer hat das bestellt?«
Vor kurzem sind wir übrigens schon in die nächste Runde eingetreten, weitere Wiederholungen zeichnen sich ab. Anscheinend gilt, je größer die Energie, die wir hineinstecken, desto mehr Teilchen kommen heraus, gerade als wollte die Natur sagen: »Na bitte, wenn ihr den Hals nicht voll genug bekommen könnt …« Sie sehen, wie augenscheinlich kompliziert sich die Welt wirklich ausnimmt. Es wäre sehr leichtfertig, wenn ich bei Ihnen den Eindruck erweckte, weil wir 99 Prozent der Phänomene in der Welt mit Elektronen und Photonen erklären konnten, erfordere die Erklärung des restlichen Prozents bloß 1 Prozent zusätzliche Teilchen! Wie sich zeigt, brauchen wir zehn- bis zwanzigmal soviel.
Der Einsatz von noch höheren Energien bei den Experimenten wurde also, wie schon angedeutet, durch die Entdeckung eines noch schwereren Elektrons namens »Tau« mit einer Masse von rund 1800 MeV belohnt. (Das entspricht dem Gewicht von zwei Protonen!) Die Existenz des Tau-Neutrinos wurde logisch erschlossen. Und unlängst wurde ein komisches Teilchen entdeckt, das eine neue »Flavorquantenzahl« voraussetzt – ein sogenanntes b- Quark ( b für beauty , Schönheit) mit einer Ladung von –1/3 (vgl. Abb. 92). Und jetzt sollen Sie selber einmal einen Augenblick lang in die Rolle eines hochkarätigen Theoretikers der Elementarteilchenphysik schlüpfen und die Entdeckung der neuen Flavorquantenzahl mit der Bezeichnung … (für »…«), mit einer Ladung von … und einer Masse von … MeV vorhersagen. Hoffen wir, daß Sie die Wahrheit (truth) treffen und Ihr Teilchen wirklich existiert! 29
Mittlerweile sind neue Experimente im Gang: Womöglich wiederholt sich der Zyklus ein weiteres Mal. Gegenwärtig sind Maschinen im Bau, die die Suche nach einem noch schwereren Elektron als dem Tau ermöglichen sollen. Sollte die Masse dieses mutmaßlichen Teilchens jedoch bei 10 000 MeV liegen, wären wir nicht mehr imstande, es zu produzieren. Die äußerste machbare Grenze
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