Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
Frage zu beantworten: Sie können jederzeit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.« Er zeigte hinaus zu den in einer Reihe stehenden Reportern, die hinter einem Absperrband der Polizei auf die Stellungnahme oder Aussagen der Ermittler warteten.
Pollinger schob den Wagen nach draußen, beugte sich nach vorn und flüsterte Quercher ins Ohr: »Wenn einer, der mit Mühe kaum geklettert ist auf einen Baum, schon meint, dass er ein Vogel wär, so irrt sich der.«
Der Magen des einen brannte. Das Bein des anderen schmerzte. Aber beide lachten laut. Denn beide hatten Wilhelm Busch in der Schule auswendig lernen dürfen.
Sie ließen sich Zeit. Quercher war in seinem Rollstuhl eingeschlafen. Wie ein Seniorenheimbewohner, den man in die Sonne geschoben hatte, schlief er mit dem Kopf auf der Brust, erschöpft und ruhiggestellt von den Medikamenten. Zu seinen Füßen lag Lumpi und schlief schnarchend auf Querchers Jacke. Pollinger, obwohl selbst sterbensmüde, hatte auf die beiden aufgepasst. So schlichen die Kollegen an dem sonderbaren Trio vorbei, bemüht, keinen Krach zu machen. Still genoss der alte Mann seinen Triumph über Rieger, den alten Feind vom BND. Es hatte lange gedauert. Aber jetzt war es passiert. Pollinger wollte nie Rache. Das war etwas für dumme Menschen. Rache machte blind und fesselte den Verstand und das Herz, fand er. Pollinger wollte Gerechtigkeit. Diese braunen Gespenster, die sein Land nach dem Krieg so geprägt und geführt hatten, waren verschwunden, ihre Netzwerke zerschlagen und ihre Pläne hier im Tal vereitelt worden. Oder war das nur ein Anfang?
Pollinger dachte an den Tod, den er bislang zu ignorieren versucht hatte. Aber mit dieser Wendung waren wieder sein Starrsinn und sein Wille zum Überleben erwacht. Er sah auf den ramponierten Quercher und entschied mit einem Lächeln, den Kampf gegen den Krebs aufzunehmen.
Dann war Meschede aus dem Zimmer geeilt, hatte kurze Anweisungen an sein Team erteilt und war wieder in den kleinen Raum verschwunden. Nacheinander wurden die aufgebrachten und schreienden Herren Brunner und Stangassinger von den Kollegen verhaftet. Man führte sie draußen am Absperrband entlang. Das kam einer öffentlichen Hinrichtung gleich. Meschede und von Stock mussten sich ihrer Sache sehr sicher sein, die Aufzeichnungen hatten wohl kaum Raum für Interpretationen gelassen.
Dann stand von Stock vor Pollinger. »Wecken Sie Ihren Mitarbeiter, bitte.«
Pollinger drückte Quercher sanft an der Schulter, wie es sonst nur Väter taten.
Quercher presste seine Augen fest zusammen. Er hatte tief geschlafen. Das Schmerzmittel, das ihm der Notarzt gegeben hatte, wirkte hervorragend.
Von Stock setzte sich auf eine Bank neben Querchers Rollstuhl. »Herr Quercher, Dr. Pollinger. Es ist für uns alle sehr mühsam. Unsere Stellen in Berlin haben sich beraten. Niemandem wäre damit geholfen, wenn dieser alte Schmutz einer neuen Bewertung zukommen müsste. Man hat Stillschweigen vereinbart. Egal, wer was, wann und wo veröffentlicht. Und deswegen darf ich Sie im Sinne der Staatsräson über Folgendes in Kenntnis setzen: Ihre, sagen wir, scheinbaren Erkenntnisse über die Vergangenheit unseres Staates sind nicht belegbar. Dr. Rieger hat sich bei einem Ausflug auf dem Tegernsee mit einem Jagdgewehr getötet. Schon länger plagte ihn eine Altersdepression, wie Freunde und Familie bestätigen werden. Die Familie Rieger hat einer schnellen Urnenbeisetzung zugestimmt.«
Quercher lächelte müde und nickte nur kurz. So war es eben.
»Die Todesursache von Josef Schlickenrieder ist ungeklärt. Und sie bleibt es, bis wir die USB-Sticks gesichert haben. Das ist Ihnen wohl klar. Unser Gespräch hat nie stattgefunden. Sie sollten wissen, dass wir jederzeit die Ermittlungen in Ihre Richtung aufnehmen können.«
Quercher verstand. Das war der Deal. Würde er den Mund halten, würde zu der ganzen Sache auch von staatlicher Stelle aus nichts gesagt werden. Aber er konnte damit leben. Es war eben Bayern.
»Was ist mit Sol? «, fragte Quercher bitter lächelnd.
Von Stock stand auf und reichte Quercher die Hand. »Na, das wissen Sie doch am besten. Herzlichen Glückwunsch. Sie haben den wohl größten Immobilienskandal in der Geschichte des Bundeslandes aufgedeckt. Gut, die Gemeinde wird wohl bald pleite sein ohne einen neuen, seriösen Investor. Aber da finden wir schon jemanden.«
Quercher wurde angesichts des Zynismus übel.
Von Stock gab sich jedoch weiter redselig. »Die
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