Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
Hubschrauber darauf bestanden, sofort verhört zu werden. Die zwei SEK-Beamten hatten das an die Einsatzzentrale in Wiessee durchgegeben. Dort erntete man nur höhnisches Gelächter. Quercher hatte nach dem ranghöchsten Staatsvertreter gefragt und Dr. von Stock aus dem Bayerischen Innenministerium hatte sich schließlich doch bequemt, das Telefonat anzunehmen. Kurze Zeit später wurde Quercher gegen den Willen des Notarztes nach Wiessee geflogen. Er war glimpflich davongekommen. Der Bruch seines Beins musste nach der Erstversorgung operiert werden, aber das hatte noch Zeit. Er hatte bereits Infusionen bekommen, und als ein Sanitäter ihn durch einen Hintereingang in die Wandelhalle schob, fühlte er sich schon bedeutend besser. Kaum war er in dem großen Saal angekommen, zog er alle Blicke auf sich. Selten hatte er einer solchen Wand aus Feindseligkeit gegenübergestanden.
Aber die wenigen Sätze, die Quercher mit von Stock während des Telefonats im Hubschrauber gewechselt hatte, hatten ausgereicht, dass sich der hagere Mann mit den blonden Haaren nun von seinem Tisch erhob und eiligen Schrittes auf ihn zuging.
In den großen Fenstern spiegelten sich die ersten Strahlen der Morgensonne. Quercher war erschöpft. Aber das Schwierigste stand ihm noch bevor.
Es war eine Abstellkammer. Stühle und Tische stapelten sich bis zur Decke. Fenster gab es nicht. Es roch nach Putzmitteln und Schimmel. Von Stock hatte einen Tisch und einige Stühle mit rotem Polster in die Mitte des Raumes stellen lassen. Quercher saß in einem Rollstuhl des Roten Kreuzes. Ihm gegenüber nahmen von Stock, Pollinger und der BKA-Beamte Platz. Neben Quercher stand eine Infusionsstange mit einem Plastikbeutel. Er konnte kaum die Augen offen halten. Pollinger hatte ihm einen Tee und Süßigkeiten besorgt. Ohne Rücksicht auf gutes Benehmen hatte Quercher sie schon auf den Weg in den Raum verschlungen.
Von Stock begann das Gespräch. »Das ist ausdrücklich kein Verhör. Sie sind nicht vernehmungsfähig, wollen aber den Ermittlungsbehörden Informationen zur Verfügung stellen. Gegen Sie wird in zwei Mordfällen ermittelt. Dieses Gespräch ist quasi inoffiziell. Ich lasse das nur zu, weil wir unseren Leuten immer eine Chance geben wollen. Da draußen wartet eine Meute Journalisten, denen mein Chef noch heute einen Verdächtigen präsentieren wird. Und Sie sind nach derzeitigem Kenntnisstand in der engeren Auswahl. Ich kann …«
»Ich habe wenig Zeit, Herr Dr. von Stock. Also fasse ich mich kurz«, sagte Quercher knapp.
»Das wäre wünschenswert«, antwortete sein Gegenüber ungerührt.
Quercher trank einen Schluck Tee, verbrannte sich die aufgerissenen Lippen und begann: »Im Mai 1945 retteten sich mehrere ehemalige SS-Soldaten hierher ins Tal. Einer von ihnen lebte unter einer anderen Identität. Das war nicht ungewöhnlich. Er nannte sich Hans Kürten und hatte den Namen eines Mannes angenommen, den er in einem Kriegsgefangenlager kennengelernt hatte und der dort starb. In dieser Zeit waren die SS-Leute nicht sonderlich beliebt bei den neuen Machthabern. Die Herren hatten im Krieg nicht nur Grauen und Schrecken verbreitet. Sie hatten auch große Mengen an Gold zur Seite geschafft. Dies galt es, klug anzulegen. Nur durften sie nicht in Erscheinung treten. Das machte der feine Herr Kürten für sie, der nun ja offiziell keine SS-Vergangenheit mehr hatte. Bald wusste das auch der neu gegründete Bundesnachrichtendienst. Der deckte alles. Klar, waren ja alte Kameraden. Die Herren schoben das Geld hin und her, so wie sie es eben brauchten. Und damit war auch nicht Schluss, als die alten Herren starben. Nach meinen Erkenntnissen gibt es diesen, nennen wir es Handel im Graubereich immer noch. Noch immer agieren ehemalige Agenten und BND-Mitarbeiter in dieser undurchsichtigen Zone, nutzen Geldquellen aus alten Agentenzeiten. Und damit das Geld aus diesem Handel von Grau zu Weiß wird, hat man hier am See das Projekt Sol gegründet. Darin verstrickt sind verschiedene Honoratioren. Dr. Rieger scheint von einem Mitwisser erschossen worden zu sein, allerdings …« Quercher stockte.
Pollinger sah ihn an und hob eine Augenbraue.
Quercher verstand den Hinweis und blieb im Ungefähren. »… allerdings ist das nur eine Vermutung. Nun zu dem anderen Toten. Ich war Zeuge des Todes von Josef Schlickenrieder, nicht jedoch der Mörder. Elli Schlickenrieder tötete ihren Mann, weil er sie mit seiner Waffe bedrohte. Zuvor hatte er sie verprügelt
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