Quo Vadis
führte ihm seine Phantasie Lygia so deutlich vor die Seele, als sähe er sie mit den leiblichen Augen. Er erinnerte sich jedes Wortes, das er zu ihr, das sie zu ihm gesprochen; er fühlte sie in seiner Nähe, an seiner Brust, in seinen Armen, und dann loderte die Sehnsucht gleich einer Flamme in ihm auf. Er liebte sie, und ihn verlangte nach ihr. Dachte er, daß sie ihn liebe und willig auf sein Verlangen eingehen werde, so zog eine unermeßliche Zärtlichkeit durch sein Herz. Aber er hatte auch Augenblicke, in denen er vor Wut erbleichte und im Gedanken an die Demütigungen und Qualen, die er über die gefundene Lygia verhängen wollte, förmlich schwelgen konnte. Besitzen wollte er sie, aber als eine niedergetretene Sklavin. Zugleich fühlte er, daß er, wenn er die Wahl hätte, ihr Sklave zu sein oder sie nie wieder zu sehen, das erstere vorzöge. Er hatte Tage, in denen er voll Rachsucht der traurigen Male gedachte, welche die Rute an ihrem Körper hinterlassen würde, und gleichzeitig drängte es ihn, diese Wunden zu küssen. Aber dann stieg auch wieder der Gedanke in ihm auf, wie glücklich er wäre, wenn er sie töten könnte.
In diesem Zwiespalt der Gefühle, in dieser Ungewißheit und diesem seelischen Kampf verlor er Kraft und Schönheit. Er wurde zum grausamen, launischen Herrn. Seine Sklaven, ja selbst seine Freigelassenen nahten ihm zitternd; und als er sie grundlos mit ebenso harten wie unverdienten Strafen, belegte, fingen sie an, ihn zu hassen, während er, sowohl dies als auch seine Vereinsamung fühlend, nur um so öfter Rache an ihnen nahm. Nur Chilon gegenüber beherrschte er sich bei dessen Besuchen, aus Furcht, daß dieser sonst seine Nachforschungen aufgeben könnte. Als der Grieche das bemerkte, suchte er seinen Einfluß zu vergrößern und mehr aus ihm herauszupressen. Zunächst hatte er dem Vinicius bei jeder Gelegenheit versichert, daß seine Arbeit ungehindert und rasch fortschreite; jetzt begann er Schwierigkeiten zu entdecken und verbarg die Tatsache nicht, daß sie viel Geduld haben müßten, wenn er auch nicht aufhörte, für den zweifellosen Erfolg zu bürgen. Endlich, nach langen Tagen ungeduldigen Wartens, kam Chilon mit so düsterem Gesichte, daß der junge Mann erbleichte und, aufspringend, kaum die Kraft fand zu fragen:
„Ist sie nicht unter den Christen?“
„Doch, Herr“, antwortete Chilon, „aber ich fand Glaukos bei ihnen.“
„Wovon sprichst du, und wer ist Glaukos?“
„Du hast’s vergessen, Herr. Er ist jener alte Mann, mit dem ich von Neapel nach Rom reiste und bei dessen Verteidigung ich diese zwei Finger verlor; ein Verlust, der mich am Schreiben hindert. Räuber stachen ihn mit einem Messer nieder und führten Frau und Kind hinweg. Ich verließ ihn anscheinend sterbend in der Herberge zu Minturnae und beweinte ihn lange. Ach, ich habe mich überzeugt, daß er noch am Leben ist und der römischen Christengemeinde angehört.“
Vinicius, der das Ziel der Rede nicht erfaßte, begriff nur, daß dieser Glaukos ein Hemmnis für die Auffindung Lygias sei; doch unterdrückte er den aufsteigenden Ärger und sagte:
„Wenn du ihn beschütztest, sollte er dir doch dankbar sein und dir helfen.“
„Ach, würdiger Tribun, selbst die Götter sind nicht immer dankbar, wie könnten es denn die Menschen sein? Daß er es sein sollte, das ist richtig. Leider aber ist er ein alter Mann von schwachem Geiste, verdüstert durch die Last der Jahre und manche Enttäuschung; er ist darum nicht allein nicht dankbar, sondern klagt mich nach Aussage seiner Religionsgenossen noch gar des Einverständnisses mit den Räubern an und bezeichnet mich als Urheber seines Unfalls. Das ist der Lohn für meine beiden Finger.“
„Schuft! Ich bin überzeugt, es ist so, wie er sagt“, antwortete Vinicius.
„Dann weißt du mehr, Herr, als er, denn er vermutet nur, daß es so war. Trotzdem wird er die Christen auffordern, grausame Rache an mir zu nehmen, und die andern werden ihm dabei helfen, das ist sicher. Aber zum Glück kennt er meinen Namen nicht, auch in dem Bethause, wo ich ihn sah, hat er mich nicht bemerkt. Ich jedoch erkannte ihn augenblicklich und hätte ihn am liebsten sofort umarmt. Die Weisheit jedoch, nebst der Gewohnheit, jeden Schritt, den ich mache, zu überlegen, hielten mich davon zurück. Nachdem ich das Haus des Gebetes verlassen hatte, erkundigte ich mich daher sofort nach ihm, und seine Bekannten erklärten, er sei der Mann, der auf der Reise von Neapel hierher von
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