Radegunde von Thueringen
dunkel, dass sie Iris und Pupille nicht voneinander trennen konnte. „Schwarz wie die Nacht im Rücken eines Feuers“, dachte sie unwillkürlich. Amalafrid lächelte und sie wandte sich verlegen ab.
Bertafrid starrte den blonden Mann erfreut an. Nach kurzem Zögern streckte er die Arme aus und sagte fordernd: „Papi!“
Radegunde wehrte leise ab. „Nein, nein – das ist dein Ohm Herminafrid.“
„Papi!“ Unbeirrt strebte der Kleine nach dem Mann mit den blonden Haaren und dem golden glänzenden Helm.
Die Trommeln wurden lauter. „Bertafrid! Sieh nur, die Tänzer!“
Zwei große Hände schoben sich herüber. „Gib ihn mir, Mädchen. Lassen wir ihm doch den Glauben.“
Zufrieden kuschelte sich Bertafrid an das Wams aus Leder, steckte den Daumen in den Mund und schlief bald ein. Die Maikäfer in ihrem Bauch schienen verschwunden. Sie konnte sich jetzt auf die Zeremonie konzentrieren.
Die Priester tauchten Reisigbesen in tönerne Töpfe, in denen das Blut der Opfertiere dampfte. Damit strichen sie die Balken der Totenhütte ein. Brennende Kräuter in weiträumig aufgestellten Schalen vermischten ihren würzigen Duft mit dem süßlichen Geruch des Blutes. Der Leichnam wurde unter lautem Gesang in die Hütte getragen, und Alwalach ordnete um den toten König herum die Beigaben an. Alles musste übersichtlich und griffbereit liegen. In einem großen Grab rechts neben der Totenhütte hatten die Kadaver von Wisa und Irvin Platz gefunden, sorgfältig einander gegenübergelegt, ihre Köpfe wieder an der Stelle, an die sie gehörten. Links von der Hütte wurde der treue Laban beigesetzt.
Nach den vier Gebeten in alle Himmelsrichtungen verschlossen die Priester den Hütteneingang mit vorgefertigten Stangen und bestrichen sie ebenfalls dick mit Opferblut. Im Rhythmus der Trommeln schichteten die Knechte Steine auf, unter denen das Grab bald vollständig verschwinden würde.
Sie fühlte die Blicke des neuen Königs, und obwohl die Käfer in ihrem Magen wieder rumorten, blieben ihre Augen trocken.
528, Hof des Herminafrid an der Unstrut
Der rasch einsetzende Winter hatte das Leben außerhalb der Hütten und Häuser fast zum Erliegen gebracht. Auf klirrenden Frost folgte kurz vor der Sonnenwende der erste Schnee.
Bertafrid konnte gar nicht genug bekommen vom Herumtoben in dem glitzernden Weiß. Immer wieder kletterte er den Wall hinauf, um auf dem Hosenboden herunterzurutschen. Seine Wangen waren rot vom Frost, das Leder seiner Füßlinge dunkel vor Nässe. Radegunde fror trotz des dicken Wolltuches, das sie sich zusätzlich um Kopf und Schultern gewunden hatte.
„Bertafrid, komm jetzt. Du wirst krank!“
„Noch mal rutschen!“
„Aber nur noch ein Mal! Hörst du?“
Besa kam ihr zu Hilfe. Mit ihren kurzen Beinchen stapfte sie prustend durch das Haupttor. Der Schnee reichte ihr fast bis zur Hüfte.
„Radegunde! Amalaberga verlangt nach dir!“
„Hast du gehört, Bertafrid? Schnell, wir wollen sie nicht warten lassen.“ Sie streckte die Hand aus.
Der pausbäckige Junge rümpfte die Nase. „Alaberga böse!“
„Nein, Bertafrid! Das ist sie nicht! Du warst lange genug draußen, deine Füße sind nass!“ Ihre Stimme klang jetzt streng und der Kleine trippelte ergeben neben ihr her.
Besa blickte ihr ernst entgegen. „Was hast du wieder angestellt? Sie ist sauer.“
Sie hob ratlos die Schultern.
Als sie vor vier Monden hier ankamen, hatte Königin Amalaberga ihnen eine Dienerin zugewiesen, die Kiara gerufen wurde. Radegunde bestaunte zunächst deren eigentümliche, weit aufgetürmte Frisur und die Unzahl goldener Ringe an ihren Ohren. Bertafrid liebte „Kra“, wie sie in seiner Kleinkindsprache hieß, bald bedingungslos. Kiara erzählte ihnen sonderbare Märchen aus einer fremden Welt.
„Woher kennst du nur all diese Geschichten?“, hatte Radegunde gefragt.
„Aus meiner Heimat. Meine Großmutter erzählte sie mir abends am Feuer.“
„Wo liegt dieses Land mit den seltsamen Märchen?“
„Wohl an die hundert Tagesritte im Osten.“
Radegunde erschrak. „Im Osten? Bist du eine Hunnenfrau?“ Sie kannte die Hunnen nur aus den abenteuerlichen Erzählungen, die die älteren Krieger abends in der Mannschaftshütte zum Besten gaben und die eigentlich nicht für Kinderohren gedacht waren. Grausamer und mordlustiger als das Volk der Sachsen sollten sie sein und ihre Sklaven schlechter behandeln als ihre Pferde.
Kiara hatte gelächelt. „Du darfst nicht alles glauben, was man über unser Volk
Weitere Kostenlose Bücher